Bundesfeier

Von Judith Stamm

Seit wann feiern wir den ersten August, wie kam er überhaupt in unseren Kalender? Er wurde dem eidgenössischen Parlament mit einer Botschaft des Bundesrates vom 14. Dezember 1889 vorgeschlagen. Diese Botschaft ist recht kurz. Sie erschien im Bundesblatt Nr. 53 vom 21. Dezember 1889 (BBl 1889 IV 1166) und kann im Internet nachgelesen werden! Der damalige Bundesrat schreibt, dass die schweizerische Eidgenossenschaft ihren Anfang genommen habe „mit dem ewigen Bunde, welcher von den Leuten von Uri, Schwyz und Unterwalden zum Schutze gegen äussere Feinde, zur Erringung grösserer Selbständigkeit und Unabhängigkeit, sowie zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung am 1. August 1291 unter sich errichtet worden ist.“ Und dann fährt er fort: „Eine Feier dieses Tages ist für jeden Eidgenossen klar und selbstverständlich. Sie ist, wie keine andere in unserem Lande, eine allgemeine nationale Feier, an welcher alle Völkerschaften der Schweiz, ohne Unterschiede der Sprache und Konfession, alle Glieder der Eidgenossenschaft gleich betheiligt sind.“ Kein Wort zur Begründung, warum es nun gerade der erste August sein sollte. Keine Ausführungen zu historischen Fragen, die damals schon intensiv diskutiert wurden. Es folgen nur noch organisatorische Einzelheiten. Die Feier war einerseits gedacht als Einzelfeier in sämtlichen Kantonen, anderseits als zentrale Feier in der Bundesstadt Bern. Letzteres im Zusammenhang mit der 700-Jahr-Feier der Stadt Bern.

Der politische Wille, der hinter dieser Feier stand, scheint aus den damaligen Zeitumständen klar. Der schweizerische Bundesstaat war jung, das Gefühl für eine Schweiz als „einig Vaterland“ sollte gestärkt werden. Deswegen konnte wohl auch nicht bis 1898, bis zum Jubiläum 50 Jahre Bundesstaat gewartet werden. Die Geburt des Bundesstaates war schmerzhaft gewesen. Es war ein, wenn auch kurzer, Bürgerkrieg vorausgegangen. Dieser hatte Sieger und Besiegte zurückgelassen. 1889 bestand die Landesregierung immer noch nur aus Mitgliedern derselben siegreichen freisinnigen Partei. Diese Wunden waren noch nicht verheilt.

Die Feier fand dann nicht in Bern, sondern in der Innerschweiz statt. Der Regierungsrat von Schwyz hatte, von vielen Seiten unterstützt, den Bundesbehörden angeboten, die Feier in Schwyz zu organisieren. Am ersten August 1891 wurde in Brunnen ein grosses Festspiel aufgeführt, am zweiten August sangen Männerchöre eine eigens dafür komponierte Tell-Kantate auf dem Rütli. So war auch diese Stätte in die Gründungsfeier der Eidgenossenschaft eingebunden. Schon damals gab es im Vorfeld Turbulenzen aus verschiedenen Gründen bis zur Gefahr des Scheiterns. Nachzulesen im Werk der Genfer Staatsarchivarin Catherine Santschi über „Schweizer Nationalfeste im Spiegel der Geschichte“.

Der Bundesfeiertag, von oben „angeordnet“, setzte sich in unserem Lande langsam durch. 1941 wurde mitten im Zweiten Weltkrieg mit grosser  Ernsthaftigkeit und Intensität 650 Jahre Eidgenossenschaft gefeiert. Und auch 1991 liess es sich die Schweiz nicht nehmen, während des ganzen Jahres mit vielen Veranstaltungen wieder eine Jahrhundertfeier zu begehen. Auch dieses Mal nicht ohne vorausgehende und nachfolgende Kontroversen!

Und 1993 wurde der Tag  – endlich – durch eine Volksabstimmung für die ganze Schweiz zum arbeitsfreien Tag erklärt.

Auch heute wird der Bundesfeiertag nicht zentral gefeiert, sondern im ganzen Land herum. In den Städten, Gemeinden, Quartieren, Pfarreien, Alterszentren, Familiengärten, Ferienlagern....

Und was bedeutet der erste August für mich? Er ist eine Verdichtung all dessen, was unser Land zusammenhält. Wir sprechen verschiedene Sprachen, gehören zu verschiedenen Kulturen. Allerdings leben wir manchmal mehr nebeneinander als miteinander. Wir gehören zu verschiedenen Religionsgemeinschaften und Konfessionen. Dies ist heute einigermassen spannungsfrei möglich. Das müssen wir aber wohl eher  der Gleichgültigkeit zuschreiben als dem gegensetiigen Verständnis. Unsere Sozialpartnerschaft scheint intakt. Sie wird aber von beiden Seiten immer etwa wieder  gefährlich überdehnt.

Was ich beschreibe, ist das Bild einer Schweiz der Vergangenheit. Heute sind wir  „globalisiert“. Die Bandbreite der Sprachen, die bei uns gesprochen werden, hat sich beträchtlich erweitert. Mit immer neuen Kulturen, die bei uns gelebt werden, müssen wir uns beschäftigen.. Um unsere Stellung im aussenpolitischen Umfeld ringen wir täglich. Dabei geraten die politischen Ideen und die wirtschaftlichen Bedürfnisse immer wieder miteinander in Konflikt.

Angesichts der aktuellen Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblematik können wir zwar im Bourbaki-Panorama in Luzern besichtigen, wie damals mit einer solchen Situation umgegangen wurde. Und das ist nicht das einzige Lehrstück in unserer Geschichte.  Aber die gegenwärtige Auseinandersetzung  kommt immer wieder recht gehässig daher. Das ist nicht verwunderlich. Das Thema ruft nach konkreten Lösungen und wird gleichzeitig ganz konkret für den kommenden Wahlherbst instrumentalisiert!

Das sind alles keine neuen Erscheinungen. Das hatten wir in unserer Geschichte alles auch schon. Sogar unter schwierigeren Bedingungen. Aber heute leben wir, im Durchschnitt, in unserem Lande in viel grösserem Wohlstand als früher. Deshalb haben wir auch grosse Verlustängste. Und wir sind heute, recht oberflächlich „über alles“ auf dem Laufenden. Die digitalisierte Welt mit ihrer rasanten Informationsübermittlung lässt grüssen.

Ich bin fest überzeugt, dass unsere Geschichte uns seit Jahrhunderten die „tools“, die Werkzeuge, mit denen wir den aktuellen Anforderungen gerecht werden können, mitliefert.  Die Umstände und Rahmenbedingungen ändern sich zwar immer wieder. Aber die handelnden Menschen, Frauen und Männer, ändern sich nicht so schnell. Allerdings müssten wir uns die Mühe nehmen, intensiv nachzudenken.

Der erste August ist einer der Tage, der sich ausgezeichnet für solche Besinnungen eignet! Und wenn es uns dann zu viel wird, erinnern wir uns an eine überaus geglückte Formulierung unseres Schriftstellers Conrad Ferdinand Meyer (1825 . 1898) aus „Huttens letzte Tage“ (1882): „Ich bin kein ausgeklügelt Buch. Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch“. Das gilt nicht nur für den einzelnen. Das gilt auch für eine ganze Gesellschaft!

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.