Drama im Ballettstudio

Von Karin Winistörfer

Das Angebot tönte verlockend. Kindertanz, Probelektion nach Vereinbarung jederzeit möglich. Etwas irritierend einzig die Kleiderordnung: weisses Turnkleid und Tütü, rosa Strumpfhosen und  Ballettschlärpchen für Mädchen. Weisses Trikot, schwarze Leggins, weisse Socken und Ballettschlärpchen für Knaben.

Doch Vorurteile sollten nicht kultiviert werden, befand ich nach langem Überlegen. Nur weil ich Mühe damit hatte, dass schon Vierjährige im wöchentlichen Tanzkurs geschlechtsspezifische Ballettkleidung tragen sollten, hiess das noch lange nicht, dass der Unterricht in dieser Tanzschule deshalb geradewegs auf die Solistenrolle in Schwanensee ausgerichtet sein würde.

Tanzschule, das zeigte sich übrigens schnell einmal, war eigentlich ein zu weiter Begriff. Ballettschule hätte es besser gefasst.

Grazil sassen die kleinen Elevinnen im Entrée. Die Kleiderordnung zeigte ihre Wirkung. Auch bei der vierjährigen Tochter: Verschämt entschloss sie sich nach langem Zögern, ihre roten Trainerhosen und den knallbunten Pulli anzuziehen. Im Büro der Leiterin, das zugleich der Ballettshop war, interessierte dann nur eines: ein rosarotes Hello-Kitty-Ballettkleider-Täschchen. Ich ahnte bereits: Dieses würde uns noch viele Freuden bereiten.

Die Lektion begann. Die Ballerina schwebte durch den Raum, die drei kleinen Elevinnen übten Pliés, Ansätze von Pirouetten, streckten die Rücken artig durch, versuchten sich im eleganten Hinsetzen. Auszüge aus klassischen Kompositionen folgten einander in engen Abständen. Füsse durchstrecken, Arme elegant hochführen. Die Tochter machte motiviert mit.

Der zweijährige Sohn hingegen zeigte wenig Musikgehör, und noch weniger Sinn für Kunst. Licht anzünden und auslöschen, Türfalle rauf und runter, rumrennen, raus aus dem Saal und wieder rein, schreien und brüllen. Ballerina wie Elevinnen versuchten, Haltung zu bewahren.

Nach Ablauf der Ballettstunde war ich schweissgebadet. Beim Abholen der Schulinformationen im Büro lockte wiederum das rosarote Täschchen. Die Tochter wollte es nicht mehr loslassen. Ich nicht kaufen. Und die Ballettschulleiterin nicht gratis hergeben. Jede Position verständlich, und doch unvereinbar. Ich spürte: Da zog ein Unwetter hoch. Ein sehr heftiges. Täschchen wegreissen? Nein – ein Tobsuchtsanfall im Ballettstudio war etwa so passend wie einer im Porzellanladen. Und wer wollte schon eine grosse Tänzerinnenkarriere noch vor dem Keimen ersticken.

So verflossen die Minuten. Als eine Sitzung anstand, nahm die Schulleiterin das Heft in die Hand, das Täschchen an sich und setze die Tochter vor die Tür. Da wusste ich: Das wird nichts mit Ballett.

Nun ging es nur noch um Schadensbegrenzung. Viel Warten, hoffen auf Einsicht. Alternative: zwangsweiser Kleiderwechsel und Rausschleppen mit massiver Gegenwehr und ebensolchem Geschrei. Und das inmitten der inzwischen zahlreich anwesenden, wartenden, rosaroten, korrekt frisierten und von motivierten Müttern begleiteten Ballettschülerinnen. Ich konnte nur verlieren: entweder als brutale Rabenmutter dastehen, oder als erziehungsunfähiger Waschlappen. Hatten eigentlich auch rosa Elevinnen Tobsuchtsanfälle?

Die Wende brachte der Sohn: Als er sich in der Toilette einschloss, kriegte es die Tochter mit der Angst zu tun, vergass, weshalb das Unwetter aufgezogen war, und kleidete sich doch noch um. Den Kleinen konnte ich schliesslich selbst befreien. Und das Ballettstudio mit zwei zwar widerwilligen, aber immerhin nicht tobenden Kleinkindern verlassen. Und mit einem Rest Würde, immerhin.

Nun suchen wir. Eine Tanzschule ohne Kleiderordnung, dafür mit viel ungestümer, kreativer Bewegung. Oder Unterricht in asiatischer Kampfkunst, wo sich kleine Energiebündel auch mal ordentlich raufen dürfen. Vielleicht bieten die ja auch Entspannungs- und Durchsetzungskurse an, für Rabenmütter und Waschlappen. Ich würde sie gleich beide buchen.
April 2014

Zur Person
Karin Winistörfer
, geboren 1974 in Biel, ist Masterstudentin an der Universität Luzern (Master of public opinion and survey methodology). 2001 schloss sie ihr erstes Studium der Geschichte und Soziologie mit dem Lizentiat ab. Danach war sie bis 2012 als Journalistin und Redaktorin im Ressort Kanton bei der Neuen Luzerner Zeitung tätig (Schwerpunkte Politik, Hochschulbildung, Gesundheit/Spitäler, Strommarkt, Gemeinden). Karin Winistörfer wohnt mit ihrem Lebenspartner und ihren zwei kleinen Kindern in der Stadt Luzern. Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Generation hat sie keine Angst, bald 40plus zu sein.