Der Präsident des IKRK spricht!

Hören wir ihm zu!

Von Judith Stamm

Das Buch ist dick. Das Buch ist schwer. Das Buch umfasst gegen 400 Seiten. Es liest sich aber spannend. Man kann über diesem Buch die Welt, die Zeit, die Sommerhitze vergessen. Es enthält die Reden und Vorträge von Cornelio Sommaruga, Präsident des IKRK von 1987 bis 1999.
Ganz zuerst habe ich mich in das aktuelle Gespräch vertieft, das Joseph Jung, Bernhard Altermatt und Blaise Fasel am 29. Januar 2016 mit Cornelio Sommaruga  geführt haben (S. 303). Das Gespräch mit dem Titel: „Servire, rispettare la dignità umana, vivere per e con la famiglia“ erschliesst alles! Darin entfaltet sich das Lebensmotto von Cornelio Sommaruga, das im Titel formuliert ist.  In kurzen Andeutungen wird der Lebensweg angesprochen. Es zeigt die immense Entwicklungs- und Organisationsarbeit auf, die Sommaruga während seiner Zeit als Präsident des IKRK von 1987 – 1999 geleistet hat. Es enthält ganz klare Antworten auf klare, auch heikle Fragen. Sommaruga scheut sich nicht, auch zur aktuellen Flüchtlingsproblematik Stellung zu nehmen.

Berührend sind seine Ausführungen, wie er, als Familienmensch, den Kontakt mit seiner Frau Ornella und seinen sechs Kindern auch während seiner vielen Abwesenheiten immer intensiv aufrecht erhielt (S. 318) Seine Familie dankte es ihm mit liebevollen Gesten. Sehr aufschlussreich sind seine Bemerkungen zur Rolle seines Glaubens, zu seiner Haltung als liberaler Katholik (S. 319). Dies war kurz ein Thema bei seiner Wahl zum Präsidenten des IKRK, weil sie die reformiert geprägte Tradition des IKRK durchbrach. Und Sommaruga war italienischer Muttersprache, was ebenfalls der traditionell französischsprachigen Ausrichtung des IKRK zuwiderlief. Aber es waren kleine Wellen, die da geworfen wurden. Am Ende des Gesprächs kommen die Leserinnen und Leser zu einem einzigen Schluss: wir nehmen Teil an einem geglücktes Leben im Dienste unserer krisengeschüttelten Welt!

Nicht nur dieses Gespräch am Schluss des Buches stellt einen Schlüssel zur Persönlichkeit und zu den Texten von Cornelio Sommaruga dar. Dazu dienen in erhöhtem Masse die Erläuterungen des  Historikers und Politikwissenschaftlers Bernhard Altermatt  zu den fünfzehn Themenbereichen, welche die Fülle der Reden und Vorträge zur Geltung bringen. Die kurzen, einfach gehaltenen, aber informativen Ausführungen von Altermatt erhellen die Texte und stellen diese in den historischen und rechtlichen Zusammenhang.

So können sich Leserinnen und Leser den vielfältigen Fragestellungen von Cornelio Sommaruga auf verschiedenen Wegen nähern. Auswählen, was ihnen wichtig scheint. Sei das die Frage der „Neutralität als schweizerisches Erbe“ (S. 69),  sei es das “Engagement für die Schwächsten“ (S. 101), sei es „Die Arbeit der IKRK-Delegierten im Feld“ (S.191) und was der Themen mehr sind.

Ungefähr wissen wir alle, was das IKRK ist. In seinen Referaten gibt Cornelio Sommaruga dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ein Gesicht. Er spricht über militärische Einsätze zur Friedenssicherung, über sein Engagement für ein Verbot von Antipersonenminen. Ein Engagement, für das er auch Diana, Fürstin von Wales, hatte gewinnen können. Auch seine Abschiedsrede vom 13. Dezember 1999 ist im Buch enthalten. Sie endet mit dem Wort, das eine Delegierte geprägt hat: „Le CICR est comme un virus dont on ne se sépare pas!“.

Das führt mich zur abschliessenden Bemerkung, dass die Reden von Cornelio Sommaruga in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch gehalten wurden. Was erwiderte er auf die Frage nach dem Aufwand, den ihm diese Sprachenvielfalt verursacht habe? „Ich glaube nicht, dass man die Mehrsprachigkeit in meinem Fall als Aufwand bezeichnen kann. Schliesslich beherrsche ich „meine“ vier Sprachen soweit, dass mir im jeweiligen Moment überhaupt nicht bewusst wird, welche ich gerade spreche“ war seine Antwort.

Mein persönlicher, bewundernder Kommentar zu dieser Aussage, aufgrund meiner Erfahrungen in Bundesbern:„Typisch Tessiner, in vielen Sprachen zuhause!“
Joseph Jung (Hrsg.)
Im weltweiten Einsatz für Humanität. Cornelio Sommaruga. Präsident des IKRK 1987 – 1999. Reden und Vorträge. Geleitwort von Dick Marty. Beiträge von Bernhard Altermatt.Verlag Neue Züricher Zeitung, ISBN 978 – 3 – 03810 – 158 - 1

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.