Überwachen und Strafen:

Fremdsprachenverbot auf dem Pausenplatz

von Meinrad Buholzer

Zu den einschneidendsten und übelsten Massnahmen der Unterwerfung gehört das Sprachverbot. Meist aus Gründen einer so genannten Staatsraison (mit totalitärem Anspruch) wird ganzen Völkern der Gebrauch ihrer Sprache verboten – doch geht es im Grunde um die Ausmerzung ihrer Kultur. So ging der Französische Zentralstaat gegen die Langue d‘Oc vor. So trieben es die Kolonisatoren mit den Indianern. So wollen es die Chinesen heute in Tibet. Um nur drei Beispiele anzuführen.

Daran musste ich denken, als ich vom Fremdsprachen-Verbot hörte, das die Solothurner Gemeinde Egerkingen für den Pausenplatz ihrer Primarschule angeordnet hat. Dort, wo sich Schülerinnen und Schüler angeblich erholen und, in Grenzen, ausleben dürfen. Wer für die Englisch- oder Französischstunde üben will, kann demnach bestraft werden. Doch das Verbot richtet sich selbstverständlich nicht gegen solchen Lerneifer, vielmehr sind Ausländerkinder im Visier, denen es einfallen könnte, so zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Es gehe darum, dass Schweizer Kinder nicht ausgegrenzt würden, wird Gemeindepräsidentin Johanna Bartholdi zitiert. Indem man Ausländerkinder ausgrenzt?

Das Verbot offenbart eine befremdende Mentalität. Spätestens im Unterricht müssen die Ausländerkinder (zu Recht) wieder Deutsch büffeln – vielleicht fühlen sie sich dann benachteiligt. Der Pausenplatz böte also ein wenig Ausgleich. (Aber muss man sich überhaupt ausgegrenzt fühlen, wenn in der Umgebung fremdgesprochen wird? Dann müsste ich die Touristenstadt Luzern meiden. Oder wegziehen.)

In Egerkingen, dieser Schnittstelle schweizerischer Mentalität, scheint man, begründet oder nicht, Angst zu haben vor einer Überfremdung. Und wie so oft reagiert man aus einem hilflosen Reflex heraus mit Verbot, Unterdrückung, Überwachung und Bestrafung. Das macht das Deutschsprechen für einen Ausländer wahnsinnig attraktiv! Eine andere, freilich anspruchsvollere Strategie – weil sie nicht Reflex, sondern Reflexion verlangt – wäre die Frage: Wie bringe ich die Ausländerkinder dazu, freiwillig deutsch zu sprechen?

Verheerend beim Egerkinger Verbot sind die möglichen Auswirkungen auf die Betroffenen. Der Integration dient das Verbot nicht. Eine „Leitkultur“, die dermassen herrisch daherkommt, ist abweisend und abschreckend. Zugleich versucht sie, mit der Sprache die Wurzeln dieser Ausländer zu kappen. Die Gefahr: Dass sie buchstäblich zwischen den Stühlen landen und sich nirgends zuhause fühlen, weder dort wo sie herkommen, noch dort wo sie gelandet sind. Entwurzelte Menschen – das könnte man, wenn man es denn wollte, inzwischen wissen – sind besonders anfällig für Verführungen aller Art, Fundamentalismus inklusive.

Am meisten aber verwundert, dass dieses befremdende Verbot aus einer Ecke kommt, die sonst stets Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie usw. in den höchsten Tönen feiert. Die Gemeindepräsidentin von Egerkingen gehört der FDP an, einer Partei, die sich „die Liberalen“ nennt und bei jeder Gelegenheit unsere Regulierungsdichte beklagt, auf die Selbstverantwortung der Bürger pocht und einen schlanken Staat will, der sich möglichst wenig einmischt.

 PS: Einen andern Weg beim „Fremdsprachenproblem“ visierte die Zuger Regierung an: Ausländer, die mindestens eine Million Franken Einkommen und 20 Millionen Franken Vermögen haben, sollten auch ohne Deutschkenntnisse die permanente Niederlassung erhalten; das Geschäft ist noch nicht abschliessend beraten, es liegt noch beim Kantonsrat. – Ist es am Ende eine Frage des Geldes, ob man in der (Deutsch-) Schweiz deutsch sprechen muss oder nicht? Das würde uns so passen…
27. Februar 2016

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.