Weihnachten: Froh ums Herz? Sicher nicht: zu viel Kommerz!

Von Judith Stamm, Luzern

Im Hauptbahnhof Zürich wächst in der geräumigen Halle der Weihnachtsmarkt aus dem Boden. Als Glanzpunkt eine festlich geschmückte Riesentanne! In der Stadt kommen Schaufensterauslagen bereits mit Tannengrün, Gold und Silber daher. Und Redaktoren bitten um Statements für die Weihnachtsnummern ihrer Zeitschriften. Selbstverständlich könnte auch ich so eine kurze Aussage  beisteuern. Nur passt sie hinten und vorne nicht. Was ich gerne schreiben möchte, lautet nämlich wie folgt:

„Am absurdesten finde ich in der Weihnachtszeit immer die Fleischauslagen: Wurstwaren, Schinkli, Schüfeli, Zutaten zu Fondue Chinoise, alles dekoriert mit Tannzweigen und Engelshaar. Ich stehe vor den Schaufenstern, beschaue mir die Pracht, und ein grimmiges Lachen überkommt mich: „Wurst und Weihnachten", welche Kombination! Natürlich, die Lebensmittelbranche hat an Weihnachten ihre „hohe Zeit". Also denn, frohes Fest!"

Was ist denn die „eigentliche Bedeutung" von Weihnachten, die offenbar hinter allen leuchtenden Bäumen, Schaufensterauslagen und Lichterketten  zu finden wäre, wenn wir nur hartnäckig genug suchen würden? Ich denke, sie ist zugeklebt, zugekleistert, verzuckert, kaum mehr zu erkennen.

Eine harte Geschichte

Für mich ist die Weihnachtsgeschichte eine nüchterne, harte Geschichte, in der auch Grausames geschieht. Ich denke an die sehr junge Frau, Maria, die aus heiterem Himmel erfährt, dass sie schwanger werden wird. An ihren Verlobten Josef, der gutmeinend war und sich nicht öffentlich, sondern im Stillen von ihr trennen wollte, um sie nicht zu kompromittieren. Ein Engel, der ihm im Traum erscheint, hält ihn davon ab, seinen Entschluss auszuführen. Ich denke an die  beschwerliche Reise der jungen Schwangeren und ihres Begleiters von Nazareth nach Bethlehem, wo sie sich für die Volkszählung des Augustus eintragen lassen müssen. Ich denke an die notdürftige Unterkunft während der Geburt, da in den Gasthäusern kein Platz zu finden war. Ich denke an die nachfolgende Flucht mit dem kleinen Kind nach Ägypten. Gleichzeitig werden in Bethlehem, dem Geburtsort, und in der Umgebung, alle Knaben unter zwei Jahren auf Befehl des Herodes getötet. Er will einen allfälligen Nebenbuhler, der ihm von den Weisen angekündigt worden ist, rechtzeitig  aus der Welt schaffen.

Nicht willkommen

Es ist eine Geschichte des nicht Willkommenseins, des beschwerlichen Lebens, begleitet vom Tod Unbeteiligter. Kann uns diese Geschichte das Herz froh machen? Froh machen sicher nicht, aber vielleicht erhellen! Denn wann war diese Geschichte aktueller als heute? Wir müssen ihren Sinn nicht hinter Kleister, Zucker und Lichterketten suchen. Wir müssen nur unsere Augen etwas weiter öffnen, und über die Grenzen der wohlhabenden Länder, zu denen auch wir gehören, hinausschauen. Und wir erkennen, dass es da zu und hergeht wie vor über mehr als 2000 Jahren in Judäa. Lebensgefahr, Flucht, keine Unterkunft, unwillkommen als Ankömmlinge an welchem Reiseziel auch immer!

Ob die vielbesuchten Weihnachtsmärkte, die prächtigen Schaufensterauslagen, die strahlenden Lichterdekorationen eine einzige mächtige Anstrengung sind, uns vom eigentlichen Gehalt der Weihnachtsgeschichte abzulenken? Weil sie nüchtern und hart ist und auch vom grausamen Tötungsbefehl eines Machthabers der damaligen Welt handelt?

Weihnachten ist noch einige Tage entfernt. Es bleibt genügend Zeit, über diese Frage nachzudenken!

Zur Person

Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und deren Rütlikommission. Heute geniesst sie ihren Ruhestand in Luzern.