Ein Wohnungsmarkt, der Generationen umfasst 

Von Otti Gmür

"Altersgerechtes Wohnen" - welches Alter ist damit gemeint? Es gibt Geburtshäuser und Säuglingsstationen in Spitälern, da wohnen die Kleinsten, meistens nur einige Tage und in Obhut der Mütter und anderer helfenden Frauen, dann gibt’s Kinderheime, Jugendheime, Studentenheime auch Kasernen, eher für Männer oder Erziehungsheime für junge Menschen, die sich in den normalen Familienwohnungen nicht zurecht finden. Dann gibt’s noch Gefängnisse und Ferienheime bis dann nach längerer Zeit die Seniorenresidenz, die Alterswohnung, das Alters- oder das  Pflegeheim vor der Türe steht. Mehr dazu später.

Alle diese „Heimwohnungen“ sollten doch wohl der jeweiligen Alterstufe gerecht sein. Aber was heisst denn gerecht? Auf welches Alter bezieht sich welche Vorstellung: rollstuhlgängig und schwellenfrei, bequem erreichbar, ruhig, zentral, nahe zum Shopping, zum Bahnhof, zum Bus, sonnig und schöne Aussicht, womöglich im Grünen, vielleicht ist Mann/Frau ja oft zu Hause, gute Nachbarschaft, Mann/Frau weiss ja nie. Die Wunschliste könnte verlängert werden. Mehr dazu später.

Kommen wir zum Wohnen. In diesem Wort stecken auch Gewohnheit, gewöhnlich und Wonne mit allen damit verbundenen Erwartungen, die zudem je nach Lebensalter anders gefärbt sind. Dabei sind unsere Wohnvorstellungen relativ neu. Während Jahrhunderten gehörten wohnen und arbeiten zusammen und waren an die Sippe und die Herrschaft geknüpft. Drei bis vier Generationen lebten unter einem Dach. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die unabhängige Kleinfamilie zur Norm und heute lebt die Hälfte der Stadtbewohner allein als so genannte Single. Mehr dazu folgt.

Nun, was ich dazu sagen will. Unser Wohnungsmarkt verfolgt seine sehr eigenen finanziellen Ziele, und da ist es einfacher, wenn man vertraute Chlichés bedient. Die Kleinfamilie erfüllt ihre Aufgabe während einem Viertel, vielleicht einem Drittel unserer Lebensspanne. Darüber hinaus entspricht sie vor allem gesellschaftlich geförderten Voraussetzungen, nämlich flexibel, unabhängig, individuell und konsumfreudig zu sein. Der Singel kann das noch besser. Aber es wird immer deutlicher, dass die reine Markt- und Konsumgesellschaft an Grenzen stösst und dabei mehr Schaden als Nutzen verursacht. Die Vereinzelung der Menschen verstärkt die Probleme.

Wir kennen Generationen umfassende Wohnformen. In Klöstern wurde eine differenzierte Raumstruktur für Gemeinschaft und Individuum entwickelt. In der Landwirtschaft entstand das Stöckli, in den Niederlanden gründeten allein stehende Frauen die Beginenhöfe. Viele Menschen leben längere oder kürzere Zeit in Pensionen oder Hotels. Es gibt Kommunen (sie müssen nicht kommunistisch sein) und Wohngemeinschaften für junge und alte Menschen.

Zunehmend ersetzen „Wahlverwandtschaften“ die verschwindende Familie. Aktuelle Beispiele sind die „Kraftwerk“-Bauten in Zürich, und in verschiedenen Ländern entstehen neue Beginenhöfe. Auch in Luzern bieten sich Chancen, den Wohnungsmarkt mit Generationen umfassenden Wohnformen zu erweitern: Im Kloster Wesemlin, in neuen Projekten für die Industriestrasse und in den Neubauten der ABL im Himmelrich. Die Zeit scheint mir reif dafür.

Zur Person:
Otti Gmür, Architekt und Publizist, gilt als einer der profundesten Kenner der Luzerner und Zentralschweizer Architekturlandschaft. Der 80-Jährige setzt sich seit Jahrzehnten mit viel Leidenschaft und Kontinuität mit Themen des Städtebaus und der Architektur auseinander. Wichtige Publikationen u.a.: "Stadt als Heimat - die Stadt, in der wir leben möchten " (1977), "Spaziergänge durch Raum und Zeit" (2003). Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern (2012).