Die politischen Parteien organisieren unsere direkte Demokratie

Von Judith Stamm

„Wozu benötigen wir politische Parteien?“ werde ich etwa gefragt. „Eine politische Meinung kann ich mir auch ohne Parteien bilden“, heisst es dann weiter. Die Antwort ist einfach. Jemand muss das politische Leben in unserem Lande organisieren. Jemand muss über die Themen informieren, die zur Abstimmung kommen. Jemand muss Kandidierende suchen, wenn Wahlen anstehen. Wenn es die Parteien nicht gäbe, müssten wir dafür andere Gremien schaffen. Es sind ja neben den Parteien auch noch andere Organisationen, die mitmischen, wenn ihre Interessengebiete berührt werden: Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Branchenverbände verschiedenster Art.

Die Aufgabe der Parteien ist in der Bundesverfassung kurz und knapp umschrieben: „Die politischen Parteien wirken an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mit“ heisst es in Art. 137.

Ich erinnere mich noch gut, dass es 1971 nach Einführung des Frauenstimmrechts eine geraume Zeit dauerte, bis die Parteien zu den Frauen und die Frauen zu den Parteien fanden. „Hast Du Deine Seele verkauft“ wollte meine Umgebung wissen, als ich für den Kantonsrat kandidierte, natürlich auf der Liste einer Partei. „Kannst Du überhaupt noch eine eigene Meinung haben? Was machst Du im Konfliktfall?“ Die Fragen jagten sich. Meine erste Aussage war, dass eine Partei keine Weltanschauung sei. Sie sei mit ihrem Programm ein Rahmen, der mir passe, innerhalb dessen ich mich bewegen könne. Keine Partei decke zu hundert Prozent meine Vorstellungen über das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Lande ab.  Dieser Meinung bin ich heute noch. Wobei ich feststelle, dass sich eine Partei, die lebt, durch die Jahre hindurch in ihren inhaltlichen Aussagen bewegt. Aber das tue ich ja selber auch.

Es ist nicht nur das Programm einer Partei, das attraktiv sein kann. Die Frage kann auch sein, was ein Mensch in und durch seine Partei bewirken will. Will er die Fahne seiner idealistischen Ziele hochhalten und in Abstimmungen immer  wieder untergehen? Oder schliesst er sich einer Gruppierung an, deren Grenzen nicht so scharf umschrieben sind, die Kompromisse eingeht, aber dadurch Mehrheiten für ein zugegebenermassen oft verwässertes Ziel findet? Ein mühsamer Weg, denn Kompromisse sind manchmal gut, manchmal aber gar nicht

Erstaunt ja überrascht bin ich immer wieder darüber, dass wir offenbar damit einverstanden sind, uns nicht darum kümmern, es mit Gleichgültigkeit akzeptieren, dass die Wirtschaft unsere direkte Demokratie finanziert! Denn die Wirtschaft wird ja bei verschiedensten Gelegenheiten immer wieder um finanzielle Unterstützung angegangen. Eine staatliche Parteienfinanzierung lehnen wir ab. Wir Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wollen nicht, dass mit unserem Geld die Parteien und ihr Wirken finanziert werden. Also holen diese das Geld bei ihren Mitglieder und ihren Mandatsträgern. Den Rest bezahlen Gönner, Sympathisanten, Interessierte. Eine nationale Abstimmungskampagne kostet einige Millionen Franken. Tja, je nach Interessenlage kommen diese Millionen aus den verschiedensten Kassen. Flyer, Prospekte, Plakate und Veranstaltungen fallen nicht einfach vom Himmel. Sie wollen entworfen, gestaltet, umgesetzt und schliesslich bezahlt werden. Woher die Parteien dieses Geld nehmen? Fragen Sie mich etwas Einfacheres!
5. November 2014

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und deren Rütlikommission. Heute geniesst sie ihren Ruhestand in Luzern.