Bargeld lieber nicht abschaffen

Von Meinrad Buholzer

Man freut sich am Leben, denkt nichts Böses. Und plötzlich dieser Hype! Wie von einer imaginären Kommunikationsagentur auf Knopfdruck inszeniert, werden uns in letzter Zeit die Argumente für die Abschaffung des Bargeldes um Ohren und Augen geflogen. All diese Vorteile! Und praktisch keine Nachteile. Selbst die Kriminalität soll so eingedämmt werden (tatsächlich würden ihr ganz neue Märkte erschlossen). Leute, die sich eben noch nicht genug über die NSA und ähnliche Organisationen aufgeregt haben, finden nichts Störendes an elektronischen Zahlungsmitteln, die uns noch gläserner machen, die unsere Schritte und Tritte rund um die Uhr festhalten. Ziemlich nonchalant heisst es, dass ja ohnehin nur noch die Alten mit Bargeld zahlen (meine Erfahrung ist zwar eine andere, aber wahrscheinlich verkehre ich in den falschen Kreisen; doch dass ich alt ausschaue, kann ich nicht bestreiten). Merk-würdig dünkt mich, dass in einer Zeit, in der stets die Freiheit der Wahl und die Möglichkeit der Vielfalt betont werden, hier die Freiheit und die Möglichkeiten eingeschränkt werden sollen.

Zweifellos werden uns die Anwälte des bargeldlosen Zahlungsverkehrs die Schönheiten dieser brave new world in den höchsten Farben ausmalen. Und ebenso zweifellos reicht meine Phantasie nicht aus, mir die Kompensationen für all die Nachteile vorzustellen, die Lösung für all die Probleme, mit denen ich mich konfrontiert sähe, falls das Bargeld wirklich abgeschafft würde. Drei Fälle:

- Ich hüte an einem warmen Sommertag Grosskinder und schicke sie mit ein wenig Bargeld, Eis kaufen. - Müsste ich Ihnen künftig die Kreditkarte mitgeben? Und was, wenn sie sie verlieren? Der Verlust des Bargeldes wäre vergleichsweise verkraftbar.

- Ein Obdachloser bittet mich um Geld für die Gassenküche oder die Notschlafstelle. – Wird die Stadt die Obdachlosen künftig mit einem Kartenlesegerät ausstatten? Oder gibt es in der brave new world keine Obdachlosen mehr?

- In den Kirchen wird jeweils bei der Messe jeweils ein Opfer eingezogen. – Eine Szene, die ich mir nicht entgehen lassen würde: Wenn der Sakristan mit dem Kartenlesegerät von Bank zu Bank geht und wartet, bis die Leute ihren Pin-Code eingegeben haben.

Gern ansehen würde ich mir auch, wie das Leben und jeder Zahlungsversuch bei einem länger anhaltenden Stromausfall zum Erliegen kommt.

Wie gesagt, ich zweifle nicht, dass es für all diese Probleme (und noch viele mehr) praktikable Lösungen gibt, ich zweifle nur, dass sie ebenso so einfach, unkompliziert, unbürokratisch, stromsparend, über- und durchschaubar sind wie Bargeld. Und Einfachheit war mal ein grundlegendes ökonomisches Prinzip.

PS I: Man kann sich auch fragen, ob im heutigen Griechenland das Geld unter der Matratze nicht besser aufgehoben ist als bei den Banken. Den Touristen jedenfalls wurde im Sommer 2015 geraten, genügend Bargeld mitzunehmen. - 17.8.2015

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.