Verbünden und bekriegen

Von Karin Winistörfer

Es kann genauso gut umgekehrt sein: bekriegen und verbünden. Beides tun unsere Kinder – sagen wir es mal neutral – regelmässig. Zuerst Variante 1, bekriegen: Da haut die Grosse dem Kleinen eins runter, weil er sich ihren Lieblingsbären geschnappt hat. Der Kleine haut umgehend zurück, worauf sie ihn zu Boden schubst, auf ihn draufliegt und an seinen Haaren zerrt. Das Ganze läuft in Windeseile ab.

Deshalb, kurz vor der definitiven Eskalation, mein Auftritt: Streithähne trennen, Haare richten, Tränen trocknen, Friedensplädoyer halten. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass es eigentlich gar nie der Lieblingsbär gewesen war - bis zum Zeitpunkt, an dem der kleine Bruder mit ihm spielen wollte. Aber gut, so können sich halt bei Nachfrageschwankungen auch die Prioritäten verschieben.

Als wir dann, endlich, Richtung Bahnhof aufbrechen, ist dies der Auftakt zu Variante 2. Denn im Spielwagen der SBB, dort wird es erst richtig lustig: Die zwei Kleinen verbünden sich. Zu einem Team, das eingeschworener nicht sein könnte. Eingeschworen darauf, alle anderen Kinder aus dem Spielwagen zu vertreiben. Kaum angekommen, entern die beiden das rote Holzschiff. Verteidigen es. „Miis!“, „Gang wäg, Meitli!“, „Nei, es het kei Platz!“ Die anderen Kinder sind verwirrt, erbost, traurig, hilflos ob der geballten Abwehr der Geschwister. Die begleitenden Väter enerviert. Gut zureden meinerseits hilft nichts: zu gut das Team, zu hart die Schädel. Es bleibt nur der (naja, nicht wirklich geordnete) Rückzug in einen spielplatzfreien Zugswagen. Resultat: zwei  tobende, schreiende Kleinkinder. Und eine ungewisse Anzahl erboste (kleine und grosse) oder aber schmunzelnde (grosse) Fahrgäste.

Zu behaupten, Verbünden und Bekriegen käme in allen Familien vor, wird dem Erlebten nicht gerecht. Denn es vereinfacht ein vielschichtiges Phänomen, das – nur so als ganz zufälliges Beispiel – auch in der Politik Gang und Gäbe ist. In der Luzerner Politik beispielsweise. Variante 2, Verbünden also, schien die Zeit vor dem ersten Wahlgang der Regierungs- und Kantonsratswahlen zu dominieren. Die Parteien hielten intern zusammen, verteilten gemässigte Flugblätter, hängten austauschbare Plakate aus, füllten brav und gesittet die Leserbriefspalten, um so die politischen Gegner auszubooten und als eingeschworenes Team möglichst viele Sitze im Politboot zu ergattern.

Doch dann – ja dann –, wird es erst richtig lustig, und Variante 1 kommt zum Einsatz. Porno-Beamte! Faulenzer! Privatsurfer am Arbeitsplatz! Ha, wir wusstens schon immer: aufgeblähte Verwaltung!, schallt es plötzlich aus dem Blätterwald und von den Stammtischen. Da hat sich doch jemand an eine schon reichlich angestaubte Studie aus dem Jahr 2010 über die Internetnutzung der Luzerner Staatsangestellten erinnert. Und diese rechtzeitig vor dem ersten Wahlgang den Medien zugespielt. Ein wahres Fressen, das entsprechend genossen wird. Der – parteilose – Chef des zuständigen Departements sieht sich plötzlich heftigsten Sturmwinden ausgesetzt, die Kritik kommt aus allen politischen Windrichtungen. Es mag Zufall sein – oder auch nicht –, dass er als einziger bisheriger Regierungsrat in den zweiten Wahlgang muss. Denn zu viele Parteien machen beim Bekriegen mit, möchten sie doch diesen Sitz noch so gern selbst besetzen, ohne eine Partei aus der Regierung werfen zu müssen – obwohl, nur so nebenbei angemerkt, eben dieser Parteilose für seine Finanzpolitik von Rechts bis Mitte immer wieder viel Lob erhalten hatte.

Wenn sich Kinder verbünden, ist dies manchmal ebenso wenig lustig, wie wenn sie sich bekriegen. Bei Politikern verhält es sich genauso. Tröstlich bloss, dass sich das Polittheater deutlich seltener wiederholt als das Kindertheater – sonst wären bald alle nur noch mit Angreifen und Wundenlecken beschäftigt.
11. April 2015.

Zur Person
Karin Winistörfer
, geboren 1974 in Biel, ist ab September 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Verwaltung im Bereich Bildung und Kultur. 2001 schloss sie ihr erstes Studium der Geschichte und Soziologie mit dem Lizentiat ab. Danach war sie bis 2012 Journalistin und Redaktorin im Ressort Kanton bei der Neuen Luzerner Zeitung (Schwerpunkte Politik, Hochschulbildung, Gesundheit/Spitäler, Strommarkt, Gemeinden). 2012 bis 2014 absolvierte sie an der Universität Luzern den Master of public opinion and survey methodology. Karin Winistörfer wohnt mit ihrem Lebenspartner und ihren zwei kleinen Kindern in der Stadt Luzern.