Wie lange kann eine Ehe dauern?

Die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello weiss Antworten aus einem Forschungsprojekt. Am 5. April eröffnet sie in Luzern eine Veranstaltungsreihe der Fachstelle für Altersfragen zum Thema „Liebe und Beziehungen im Alter“.

Mit Pasqualina Perrig-Chiello sprach René Regenass

Die Scheidungsraten bei Langzeitehen sind gestiegen. Kennt man Gründe für diese Entwicklung?
Pasqualina Perrig-Chiello:
Es gibt vor allem gesellschaftlich bedingte Gründe. Zum einen ist die Lebenserwartung höher geworden. Eine Ehe kann heute gut und gerne 60 bis 70 Jahre dauern. Dann erleben wir eine Wertewandel: Verbindlichkeit und Treue gelten nicht mehr gleich viel wie vor 20 oder mehr Jahren.  Das eigene Glück ist wichtiger geworden. Und schliesslich sind die Frauen unabhängiger geworden. Sie sind besser gebildet und leben in den meisten Fällen in sozialer Sicherheit. Eine Frau kann heute die Ehe verlassen, ohne gleich geächtet zu werden. Früher haben Frauen einfach durchgelitten.

Weiss man, ob sich die Entscheide, eine Ehe aufzulösen, schon länger abgezeichnet hatten oder ob sie plötzlich getroffen worden sind?
Wir haben 1000 Spätgeschiedene im Alter zwischen 40 und 70 Jahren befragt. Für einen Drittel kam die Entwicklung völlig überraschend. Es sind meistens Situationen, in denen der Mann eine Zweitbeziehung hat und die Ehe von heute auf morgen verlässt. Bei einem weiteren Drittel hat man gespürt, dass etwas nicht mehr rund läuft. Und beim letzten Drittel bestand schon länger kein gemeinsamer Nenner mehr.

Und die Gründe?
Drei Antworten stehen im Vordergrund.
Erstens: „Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“
Zweitens: „Die Konflikte dominieren. Wir haben uns dauernd gestritten.“
Drittens: Die Trennung ist emotional begründet, weil eine Aussenbeziehung besteht.“

Wie kommen die Betroffenen mit der Situation zurecht?
Die meisten, etwa 40 Prozent, können die Trennung auch nach langen Beziehungen gut verarbeiten. Wir sind mit zunehmendem Alter krisenerprobt geworden. Eine weitere Gruppe profitiert von einem neuen Partner, einer neuen Partnerin  und ist damit glücklich. Rund 20 Prozent hingegen leiden ziemlich stark und andauernd unter dem Verlust. Bei diesen Menschen ist auch der Medikamentenkonsum beträchtlich.
15. März 2017

(In der Langzeitstudie der Psychologischen Institute der Universitäten Bern und Lausanne sind seit 2011 im Abstand von je zwei Jahren schweizweit 1000 Spätgeschiedene und 1000 langjährig in erster Ehe verheirate Personen befragt worden.)

Zur Person
Pasqualina Perrig-Chiello ist Entwicklungspsychologin und leitet das Forschungsprojekt Partnerschaft 40plus der Universitäten Bern und Lausanne. Ihre weiteren Forschungsgebiete sind Entwicklungsthemen im mittleren Lebensalter, Mobilität im Alter, Kritische Lebensereignisse und Wohlbefindensregulation, und Familiale Generationenbeziehungen. Am Mittwoch, 5. April um 18.30 Uhr spricht Perrig-Chiello zum Thema „Scheidung nach der Silberhochzeit – Dauerkrise oder neue Chance? Das Referat ist die erste Veranstaltung in der Reihe „Liebe und Beziehungen im Alter“ der Fachstelle für Altersfragen der Stadt Luzern.