Mehr Neurentner von Armut betroffen 

In den letzten 15 Jahren ist das Armutsrisiko im Alter aufgrund von Vorsorgelücken deutlich gestiegen. Ursachen dafür sind Brüche in der Familien- und Erwerbsbiografie, die immer häufiger auftreten.

Führen der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel und die dadurch bedingten Brüche in der Lebens- und Berufsbiografie zu Lücken in der Alterssicherung? Und folgen daraus künftig neue Armutsrisiken im Alter? Die Studie «Existenzsicherung im Alter» des Zentrums Soziale Sicherheit der Fachhochschule Bern ist diesen Fragen nachgegangen.

Die Studie zeigt, dass der Anteil der Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) bei den unter 70-jährigen AHV-Beziehenden in den letzten 15 Jahren zugenommen hat, von 5.9 Prozent im Jahr 1999 auf 8.6 Prozent im Jahr 2012. Die EL-Quote aller Rentnerinnen und Rentner ist dagegen stabil geblieben. Bei Neurentnerinnen und -rentnern stehen Lücken in der Altersvorsorge als Ursache für den Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) im Vordergrund; im Unterschied zu älteren AHV-Beziehenden, bei denen Pflegekosten wichtiger sind. Vorsorgelücken entstehen unter anderem wegen prekären Erwerbsverläufen (Erwerbsunterbrüche und temporäre und unsichere Anstellungen, tiefer Lohn) und  wegen Brüchen in der Lebensbiographie (zum Beispiel Scheidung, gesundheitliche Beeinträchtigungen).

Risikogruppen
Die EL-Quote ist je nach Geschlecht, Zivilstand und Nationalität sehr unterschiedlich. Überdurchschnittlich hoch ist sie bei Ausländern, Geschiedenen, Alleinstehenden und Frauen. Besonders gravierend sind Situationen, in denen verschiedene Risiken zusammenfallen: So ist das EL-Risiko bei geschiedenen Ausländerinnen und Ausländern (35.4 Prozent), geschiedenen Schweizer Frauen (21.4 Prozent) und ledigen Schweizer Männern (19 Prozent) ausgesprochen hoch.

Besonders häufig betroffen sind Personen, die in Berufen des Bau- und Gastgewerbes, der persönlichen Dienstleistungen, dem Detailhandel und Verkehrswesen sowie in der industriellen Produktion gearbeitet haben. Bei Neurentnerinnen und -rentnern ohne berufliche Ausbildung ist die EL-Quote im Schnitt doppelt so hoch wie bei Personen mit einer Berufsbildung.

Nach Scheidung droht Armut
Vorsorgelücken und damit das Risiko von Altersarmut sind oft durch kritische Lebensereignisse oder durch gesundheitliche Probleme bedingt. Charakteristisch ist bei Frauen mit EL, dass sie häufig einen grossen Teil der Betreuungsarbeit übernommen haben und dadurch nur eingeschränkt einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. Eine Trennung oder Scheidung kann die Existenzsicherung im Alter bedrohen. Hier haben Gesetzesänderungen der letzten Zeit eine Verbesserung gebracht. Ein hohes Risiko birgt auch eine berufliche Selbständigkeit, die nicht erfolgreich verläuft.

Bereits im Erwerbsleben ist eine beeinträchtigte Gesundheit ein massgeblicher Einflussfaktor für das Risiko, Ergänzungsleistungen beziehen zu müssen. Die Hälfte des Anstiegs der EL-Quote bei den Neurentnern geht auf ehemalige IV-Rentnerinnen und -Rentner zurück. Aber auch gesundheitliche Beeinträchtigungen, die von der Invalidenversicherung nicht anerkannt wurden, spielen eine Rolle. Gesundheitliche Risiken während des Berufslebens, die zu einer (teilweisen) Arbeitsunfähigkeit führen, sind daher mit grossen Einbussen bei der Altersvorsorge verbunden.

Demographische Entwicklung
Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft gehen in den kommenden Jahrzehnten die geburtenreichen Babyboomer-Jahrgänge in Rente. Dies führt zu einem generellen Anstieg der Anzahl der Rentnerinnen und Rentner; auch jener, die Ergänzungsleistungen (EL) beziehen. Das zunehmende EL-Risiko bei den Neurentnerinnen und -rentnern erhöht diese Zahl zusätzlich. Die Bedeutung von Vorsorgelücken als Risiko für einen EL-Bezug im Alter nimmt daher zu.

Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und institutioneller Veränderungen wird Altersarmut vermehrt zum sozialpolitischen Thema, insbesondere im Hinblick auf das Reformprojekt «Altersvorsorge 2020» des Bundesrats und die Reform der Ergänzungsleistungen. Gesichertes Wissen zur Zielgruppe der einkommensschwachen Rentnerhaushalte gab es bis anhin jedoch kaum. Die BFH-Studie ist ein wichtiger Beitrag, um diese Lücke zu schliessen. - 11.1.2016/BB

Die Studie