Ohne Führerausweis – voll out oder voll mobil?

Von Marietherese Schwegler

Wieder einmal ist die Fahrtauglichkeit von SeniorInnen Thema in den Medien. Das Parlament in Bern ist milde gestimmt und will uns künftig bis 75 ohne medizinische Prüfung ans Steuer lassen. Und schon ab 1. Juli 2016 heisst es nicht mehr entweder tauglich oder untauglich. Ab jetzt ist es möglich, den Attest zur Fahreignung sozusagen masszuschneidern auf den Zustand einer Person: Nur noch in der Stadt fahren aber nicht auf der Autobahn, oder nur bei Tag, zum Beispiel.

Betrifft mich persönlich alles nicht mehr. Denn über zwei Monate vor meinem 70. Geburtstag im letzten November hatte ich Post vom Strassenverkehrsamt: „Sehr geehrte Frau Schwegler. Im Interesse der Verkehrssicherheit werden Sie zum gesetzlich vorgeschriebenen verkehrsmedizinischen Untersuch aufgeboten. (…) Sollten wir nach Ablauf dieser Frist nicht im Besitz des ärztlichen Berichts sein, sehen wir uns veranlasst, den Entzug Ihres Führerausweises einzuleiten ...“

Amtlich geprüft – also fahrtüchtig?

Und jetzt ist mein Billet weg. Aber falsch geraten: Nicht, weil ich die Frist verpasst oder gar die ärztliche Prüfung nicht bestanden hätte. Alles vorschriftsgemäss absolviert und eingereicht. Amtlich geprüfte Autolenkerin wie seit rund 50 Jahren.

Bald danach aber habe ich für mich den dritten Weg gewählt: Ich habe autonom entschieden und den Führerausweis freiwillig zurückgeschickt. Bevor ich, mich in falscher Sicherheit wähnend, irgendwann vielleicht doch einen Unfall verursachen würde. Denn etwas wurde beim verkehrsmedizinischen Untersuch ja nicht geprüft: Meine Routine beim Autofahren. Und die ist in den letzten Jahren im Vergleich zu früher weniger geworden; das hatte ich mir schon vor dem Aufgebot zum Test überlegt. Anschauungsunterricht, wie sich unsichere AutolenkerInnen verhalten können, kriege ich zudem ab und zu, wenn ich mit dem Velo unterwegs bin. Da verzichte ich gerne auf mein Vortrittsrecht, wenn ich Anzeichen dafür habe, von einer betagten Person am Steuer gar nicht wahrgenommen zu werden, weil ihr Blick suchend in eine andere Richtung geht. (Klar, es kann auch eine junge Person sein, die gerade aufs Handy schaut…)

Verlust? Nein, Gewinn!

Rund ein halbes Jahr bin ich jetzt ohne Führerausweis. Zeit, in mich zu gehen und über den ausweislosen Zustand nachzudenken. Kein einziges Mal habe ich meinen Entscheid bisher bedauert. Im Gegenteil. Ich muss gar nicht mehr überlegen, ob ich nun für den Transport von vier Säcken Pflanzenerde ein Mobility-Auto nehme. Ein Taxi ist genauso schnell zur Stelle. Und wenn‘s regnet, steig ich in den Bus statt aufs Velo, für die Fahrt nach Zürich oder Bern kam das Auto seit jeher sowieso nicht in Frage; der Zug ist bequemer, zumal mein GA stets griffbereit ist.

Was für mich genau richtig ist, muss für andere in meinem Alter aber nicht so sein. Ich hüte mich deshalb, für den freiwilligen Verzicht auf den Führerausweis zu werben. Oder Partei zu ergreifen für das eine oder das andere Lager: Für jene, die möglichst langes Fahren ohne ärztlichen Check als das einzig Zumutbare ansehen oder für jene, die sich für eine strengere Gangart als die heutige einsetzen. Für beide Einstellungen gibt es Argumente dafür und dagegen.

Aber ein besonderes Lob kriegt man wohl nur bei freiwilligem Verzicht: „Dass Sie sich entschieden haben, zukünftig auf das Lenken eines Motorfahrzeuges zu verzichten, zeugt von grossem Verantwortungsbewusstsein und von Weitsicht.“ Diese schriftliche Würdigung wurde mir zuteil vom Luzerner Strassenverkehrsamt. – Ich sehe es weniger pathetisch und bin ganz zufrieden: Mobil bin ich immer noch, Parkplatzsuche jedoch war gestern.

21. Juni 2016