Zufriedene Gastgeber:das Wirtepaar Carin und Urs Truniger des Luzerner Restaurants Melissa’s Kitchen (links und Mitte).

 

"Zuelose" – Entscheidungshilfe im Café Med

Von Max Schmid (Text) und Frank Achermann (Foto) 

Draussen der rege Verkehr des Luzerner Hirschengrabens, drinnen feiner Kaffeeduft, leises Geplauder an den Tischen. Wir sind im Café und Restaurant Melissa’s Kitchen mit Ursula und Frank Achermann verabredet. Wir möchten mit ihnen über ein Projekt reden, welches das pensionierte Ärzte-Ehepaar vor wenigen Monaten gestartet hat: das Café Med,ein Projekt der Akademie Menschenmedizin.

Jeweils am ersten Montagnachmittag des Monats treffen sich Ursula und Frank Achermann hier mit acht bis zehnKolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsbereich, um Menschen in medizinischen Fragen zu beraten. Das Café Med findet parallel zum üblichen Betrieb in Melissa’s Kitchen statt. Die Wirtsleute Carin und Urs Truniger ermöglichen dieses Nebeneinander von Restaurantgästen und Ratsuchenden und freuen sich, dass dies so gut klappt. 

Das Wichtigste ihrer Tätigkeit im Café Med sei Zuhören, sagt Frank Achermann: «Zuelose, Zyt ha – sich in Ruhe anhören, was die Rat suchende Person beschäftigt. Meist kommen Leute vorbei, die nach dem Besuch beim Arzt oder im Spital vor schwierigen Entscheidungen stehen. Im Gespräch versuchen wir die Informationen zu werten, die man ihnen gegeben hat.»

Ursula Achermann schildert konkrete Bespiele: Beispielsweise den Fall einer Inkontinenz.  «Der Arzt hatte der Patientin mit Blasenproblemen zu einer Operation geraten. Sie aber hatte Angst vor der Operation und der Leidensdruck hielt sich in Grenzen. Im Gespräch hat sich der Eindruck ergeben, dass ein Eingriff erst nötig wird, sollte der Leidensdruck stärker werden.“

Auf den Lebenskontext der Patienten eingehen

Besonders schwierig seien Fragen, mit denen Krebspatienten konfrontiert seien: Da sei es für Laien oft sehr schwierig zu entscheiden, was gemacht werden soll, sagt Ursula Achermann.«Sie fragen sich, soll ich, muss ich das jetzt alles machen? Was ist in meinem Fall, in meinem Alter sinnvoll? – Fragen, wie sie sich beispielsweise bezüglich einer Chemotherapie stellen. Junge Onkologen schlagen vielleicht wohlmeinend Massnahmen vor, die ältere Patienten oftmals stark verunsichern.» Im Café Med hätten die Mediziner Zeit, auf den Lebenskontext der Betroffenen einzugehen und sie dabei zu unterstützen, selbstständig eine Entscheidung zu fällen.

Was sie nicht machten, sei evaluieren, Diagnosen stellen, Medikamente verschreiben. Das alles sei nicht ihre Sache. «In diesen Fällen raten wir den Hausarzt oder eine Fachärztin aufzusuchen oder eine Zweitmeinung einzuholen.»

Es komme auch immer wieder vor, dass Patienten unsicher seien, ob sie ihren Arzt richtig verstanden hätten, ergänzt Frank Achermann. «Oft wagen die Leute in der Arztpraxis nicht nachzufragen. Es herrscht heute nicht selten die Vorstellung, der «Doktor» habe nicht die Zeit, um gründlich auf ein Thema einzugehen. Tatsächlich sei im heutigen Praxisalltag Zeitdruck zu einem Problem geworden. Doch für Frank Achermann darf die Medizin nicht eine Wirtschaftsform sein, bei der Zeitlimiten und die Optimierung von Abläufen im Vordergrund stehen.

 Nicht mehr in der Mühle drin

«Wir sind nicht mehr in der Mühle drin, meint Frank Achermann. «Das verschafft uns die Gelegenheit, die Probleme der Betroffenen etwas distanzierter und ohne Druck anzugehen: Es gibt nicht immer nur eine Therapie. In der Medizin ist nicht immer alles klar. Dem wollen wir Rechnung tragen». Grundsätzlich arbeite man indes nach den Regeln der Schulmedizin.

Das Team der pensionierten Mediziner und Fachkräfte, das im Café Med Ratsuchenden zur Verfügung steht, umfasst verschiedene Spezialisten: Ursula Achermann ist Gynäkologin, ihr Mann, mit dem sie 35 Jahre in der Luzerner Altstadt eine Praxis führte, ist Diabetologe, mit dabei sind auch Fachkräfte für Innere Medizin, Onkologie, eine Psychotherapeutin, eine Schmerztherapeutin und andere. (Die Liste der anwesenden Spezialist*innen ist jeweils unter menschenmedizin.com/bistro einzusehen.)Sie alle geben in unbezahlter Freiwilligenarbeit gerne ihr Wissen weiter: «Es ist», meint Frank Achermann, «eine schöne Möglichkeit für uns, etwas zurückzugeben für das gute Leben, das wir hatten». 

Das Luzerner Café Med ist das zweite in der Schweiz. Das erste wurde 2017 in Zürich eröffnet. Dort hat das Ehepaar Achermann Erfahrungen mit dieser neuen Form von Beratung gesammelt. In Zürich werden zudem von einer Gruppe, der neben Ärztinnen auch Sozialarbeiterinnen und Pflegepersonal angehören, Begleitungen zu Artbesuchen angeboten.

Patienten als Individuum betrachten 

Die Idee des Café Med ist im Kreis der Akademie Menschenmedizin entstanden, die sich für eine menschengerechte Medizin engagiert. Ihr Ziel ist ein Gesundheitswesen, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und Patienten als Individuum betrachtet.  Nicht jeder Mensch reagiere gleich auf eine Therapie und nicht jeder brauche die gleiche Therapie, heisst es in den Grundsätzen der Akademie. Ein wichtiges Ziel der Menschenmedizin sei es, die Lebensqualität und Selbstbestimmung der Patienten zu stärken.  

Café Med: Immer am ersten Montag des Monats (nächstes Mal wegen der Fasnachtspause am 1. April 2018) 14.30 - 17.00 Uhr im Restaurant Melissa’s Kitchen, Hirschengraben 19 Luzern.

Akademie Menschenmedizin:  www.menschenmedizin.com  

 27.02.2019: max.schmid@luzern60plus.ch