Was haben Bergbeizen und Altersheime gemeinsam? Den Musikgeschmack!

Von Cécile Bühlmann
Ich bin viel in den Bergen unterwegs und lösche mir nach einer Wanderung gern in einer Bergbeiz mit einem kühlen Apfelschorle den Durst. Was mir dabei häufig die Freude trübt, ist erstens, dass es überall unnötige Musikbeschallung gibt, und dass es zweitens meistens „Hudigäggeler“ sind, die aus dem Lautsprecher ertönen. Wenn ich jeweils in die Runde schaue, stelle ich fest, dass die Gäste hingegen ganz unterschiedlich sind: es gibt Junge, Kinder, Alte, solche die sehr lässig und nach neuestem Sportchic gekleidet sind und solche, die eher konservativ daherkommen, kurz und gut, es herrscht eine kunterbunte Verschiedenheit von Stilen und Geschmack. Diese Vielfalt der Leute  kontrastiert eigentümlich mit dem volksmusikalischen Einheitsbrei, der sich aus den Lautsprechern über die Gäste ergiesst. Wieso nehmen alle die Bergbeizer eigentlich an, dass sie damit den Geschmack der Gäste treffen? Warum glauben sie, dass wer gern in die Berge geht, automatisch Ländlermusik lieben muss? Damit ich richtig verstanden bin, ich habe nichts Grundsätzliches gegen diese Art Musik, aber die Selbstverständlichkeit und die Ausschliesslichkeit, mit der sie BerggängerInnen vorgesetzt wird, finde ich schon eine Zumutung.

Und in Altersheimen gibt es offensichtlich genau so reduzierte Vorstellungen von Musikgeschmack! Da werden Ländler höchstens noch mit Schlagern wie „Una Paloma blanca“ und „Ein Schiff wird kommen“ angereichert, dann endet das musikalische Spektrum. Ich gebe gern zu, ich habe keine wissenschaftliche Untersuchung gemacht, die meine These bestätigt, aber da ich in Hörweite eines Altersheims wohne und mir viele Bekannte, die regelmässig in Altersheimen Besuche machen, vom gleichen Ärgernis erzählen, nehme ich an, dass diese Unsitte weit verbreitet sei. Im Gegensatz zur Bergbeiz mag ja die Streuung der Altersklassen im Altersheim kleiner sein, aber ich kann mir schlicht und einfach nicht vorstellen, dass alle Seniorinnen  und Senioren sich darüber freuen, dass die musikalischen Darbietungen, die ihnen vorgesetzt werden, sich auf diesem Niveau von Musik bewegen. Und das in Luzern, einer Hochburg von Musik! Mit den weltbesten Orchestern jedes Jahr im KKL, mit Orchestern, Musikern  und Chören der Spitzenklasse! Und mit einer renommierten Musikhochschule, die ein breites Spektrum von Ausbildungen in  Klassik, Jazz, Volks- und Kirchenmusik anbietet und mit dem Luzerner Theater, der Lucerne Festival Academy, dem Jazz Festival Willisau und der Jazzkantine kooperiert. Für Musik-Studierende sind Konzert- und Bühnenpraxis von Anfang an wichtige Bestandteile der Ausbildung. Ich kann mir ja gut vorstellen, dass es für Altersheime enge finanzielle Grenzen für das Engagement bekannter Ensembles gibt. Aber könnten nicht Auftritte in Altersheimen für Studierende auch Konzert- und Bühnenpraxis geben? Oder vielleicht könnte es eine Kooperation mit dem Luzerner Theater mit seinem tollen Orchester geben. Oder Luzerner MusikerInnen treten ab und zu statt im Kleintheater in einem Altersheim auf. Wäre doch wunderschön, wenn ich eines Sonntags Albin Brun und Isa Wiss vom nahen Altersheim herüber klingen hörte!  Dann könnte ich mich vielleicht besser mit dem Gedanken anfreunden, später auch einmal hinüberzuzügeln….

Zur Person
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Seit 2006 ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.