Das lange Warten am Checkpoint von Meitar

Von Edith Hausmann, Yatta

Der heutige Tag hat für mich um 02.45Uhr begonnen. Um 04.00 Uhr werden die Tore für jene palästinensischen Arbeiter (und wenigen Arbeiterinnen) geöffnet, die eine Bewilligung haben, in Israel zu arbeiten. Und wir, ein Team von EAPPI (Begleitprogramm in Palästina und Israel, EAPPI) des Weltkirchenrates, sind jeweils dort, um zu beobachten, ob die Tore geöffnet sind, um die Leute zu zählen und allenfalls die Hotline des Militärs anzurufen, wenn die sogenannten „humanitarian gates“ geschlossen bleiben. Diese Gates dürfen nur von Personen mit Kleinkindern, von Kranken und Behinderten passiert werden.

Vor dem Checkpoint bieten fliegende Händler Proviant, Tee und Kaffee an. Die Beleuchtung für ihre Stände wird aus Autobatterien gespiesen. Neun Checkpoints markieren die sogenannte "Grüne Linie", die 1949 im Armistice Agreement gezogen wurde. Heute gilt sie oft als Grenze für einen möglichen palästinensischen Staat, wie sie vor dem Sechstagekrieg (1967) bestanden hatte. Jetzt markiert sie den Übergang zwischen Israel und Palästina. Alle Palästinenser müssen hier strengste Kontrollen durchlaufen. Israelische Siedler in der Westbank passieren die grüne Linie ohne jegliche Kontrolle.

Seit zwei Uhr morgens steht er vor dem Tor zur Arbeit

Morgens kurz vor vier Uhr warten bereits etwa 400 Männer auf das Öffnen der Tore. Sie sollten zwischen 07.00 und 07.30 Uhr auf ihren Arbeitsstellen sein. Manche haben noch eine längere Fahrt auf der israelischen Seite vor sich. Wir haben einen der Männer zuvorderst in der Reihe gefragt, seit wann er denn schon anstehe? „Seit zwei Uhr“, sagt er. Und das seit zehn Jahren und im Winter bei Minusgraden.

Mit einem Clicker zählen wir die Passierenden. Etwa vier davon sind Frauen. Bis sieben Uhr zählen wir 5896 Personen. Diese Zahlen erheben wir im Auftrag der Vereinten Nationen. Einige grüssen uns mit „Good morning“ oder „Sabah al cheir“. Vor allem junge Männer mit wenig Geduld oder weniger Duldsamkeit, erworben in langen Jahren der demütigenden Warterei, klettern über die Trenngitter und versuchen, so schneller in der Warteschlange voranzukommen. Das hat Geschimpfe, Gedränge, Rempeleien zur Folge, was auch schon zu Rippenbrüchen geführt haben soll. Ein Mann mit einer roten Jacke wird bei seiner waghalsigen Kletterei von einem Mitarbeiter des Checkpoints beobachtet. Die Folge ist, dass er wegen seiner Drängelei bei der Identitätskontrolle zurückgewiesen wird. Dies könnte den Entzug der Arbeitsbewilligung zur Folge haben.

Bau- und Erntearbeiter haben keine Wahl

Wir kommen mit einem Mann ins Gespräch, der tagsüber an einer Schule Englisch unterrichtet und frühmorgens am Checkpoint mit Taxidiensten ein Zusatzeinkommen zu erwirtschaften versucht. Wir befragten ihn nach den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Arbeiter. Die meisten von ihnen seien als Bau- oder als Erntearbeiter tätig. Die Bauarbeiter würden während der Woche auf den Baustellen schlafen, mit einem Feuer als Wärmequelle.

Vom Verdienst zwischen 200 und 300 Scheckel pro Tag (ca. 50-75 Franken), abzüglich der Fahrkosten von zu Hause zum Checkpoint und von da für die Weiterreise zum Arbeitsort, bleibt am Schluss nicht viel übrig. Trotz der vielen Stunden Wartens und des mickrigen Verdienstes haben die palästinensischen Arbeiter keine Wahl, denn die Familien sind gross, ebenso die Arbeitslosigkeit, die in der Westbank etwa dreissig Prozent beträgt.
1. Februar 2015

Zum Programm
Edith Hausmann wurde von HEKS und Peace Watch Switzerland als Menschenrechtsbeobachterin nach Palästina und Israel gesendet, wo sie am ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Weltkirchenrates mitwirkt. Die in diesem Artikel vertretenen Meinungen sind persönlich und decken sich nicht zwingend mit denjenigen der Sendeorganisationen. Falls Teile daraus verwendet oder der Text weitergesendet werden sollte, kontaktieren Sie bitte zuerst Peace Watch Switzerland unter palestine@peacewatch.ch

Weitere Informationen zum Begleitprogramm in Palästina/Israel finden Sie unter www.eappi.org und www.peacewatch.ch

Lesen Sie, wie sich Edith Hausmann auf den Einsatz vorbereitet hat.