Grosse Liebe zum kleinen Auto

Er könnte auch als Innerschweizer Bergbauer durchgehen, so wie er dasitzt in seiner Stube an der Luzerner Pfistergasse: mit blauem Bauernhemd, Appenzeller Gürtel  an den Bluejeans und geknotetem rotem Taschentuch um den Hals. Doch seine italienisch gefärbte Schweizer Mundart verrät noch immer die Herkunft. Geboren wurde er vor 74 Jahren  in den Hügeln hinter Pescara in einem bäuerlichen Umfeld. „Ich wollte als Bub Schafzüchter werden“, erinnert er sich. Einen Schafbock hat er sich dann mit ein paar gesparten Liren als Jugendlicher gekauft. Doch Arbeit gab es nicht genug, und Ausbildungsmöglichkeiten schon gar nicht. „Mein älterer Bruder arbeitete bereits in Stans als Maurer, da bin ich ihm als 17-Jähriger gefolgt.“ Er fand Arbeit in einer Stanser Metzg, später kam er nach Luzern, arbeitete viele Jahre bei der Metzgerei Bachmann, wo er bis 1995 blieb. Der Traum vom Topolino kam mit in den Norden. Seinen eigenen Topolino konnte er 1968 erwerben, für 600 Franken, er gehörte einem Nidwaldner und stand, damals noch mausgrau, neben dem Restaurant Reussfähre auf dem Areal des Alteisenhändlers Schnyder. Er fährt ihn heute noch.

Die letzten zehn Jahre bis zu seiner Pensionierung arbeitete Francesco Di Cesare beim städtischen Strasseninspektorat als Strassenwischer  im Reinigungsdienst. „Glückliche Jahre waren es, draussen an der Luft, gute Kollegen, viele Begegnungen.“, bilanziert Di Cesare. Seit 30 Jahren ist er zudem Hauswart, auf der Allmend betreibt er einen Familiengarten und engagiert sich im Vereinsvorstand und auch im städtischen Personalverband bei den Pensionierten. Schweizer Bürger ist er nie geworden.

Jährliche Familienausflüge
„Im Herzen bin ich immer noch Italiener“, sagt er, obwohl er seit 39 Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist. „Meine zweite Frau ist der Topolino“, scherzt er, und seine Frau Silvia ergänzt, dass es manchmal auch umgekehrt sei. Dass die Topolino-Fahrer so etwas wie eine Familie sind, zeigt sich rasch in all den Fotobüchern, die mir Franceso Di Cesare zeigt. Rund 50 Mitglieder zählt die Innerschweizer Topolino-Familie. Jedes Jahr wird eine mehrtägige Ausfahrt organisiert, letztes Jahr ins Tessin und in die benachbarte Lombardei: „Schöni Reisli“, schwärmt er: “Mit unseren 16 PS fahren wir über den Gotthard und die alte Tremola hinauf und hinunter“, erzählt Di Cesare stolz. Hinten auf seinem  jetzt dunkelgrünen Topolino, Jahrgang 1952, ist jeweils das legendäre Lederköfferchen aufgeschnallt, unter dem Faltdach des Cabrios gibt’s noch Platz für ein weiteres Gepäckstück.

Auch Dutti fuhr einen Topolino
Natürlich regt das Mäuschen oder die ganze Mäuseinvasion inzwischen überall Aufsehen, denn sie sind ja fast ganz aus dem Strassenbild verschwunden. „Wenn ein Ferrari und ein Topolino nebeneinander stehen, so wird der Ferrari meist nur eines kurzen Blicks gewürdigt, dann richtet sich das Interesse auf den Toplino.“ Über eine halbe Million der Topolini wurden in Turin zwischen 1936 und 1954 produziert, einen davon fuhr auch der legendäre Migros-Gründer Gottlieb-„Dutti“ Duttweiler. „Grosse, repräsentative Autos haben mich nie interessiert“, beteuert Francesco Di Cesare. Auch das Alltagsauto des zweifachen Vaters und zweifachen  Grossvaters ist selbstverständlich ein Fiat, ein Punto.

Geburtstagsfahrten in den Süden
Als Francesco Di Cesare 60 wurde und sein Toplino stolze 48, machte er sich, seiner Frau Silvia und seinem Auto ein Geschenk:  Fünf Wochen lang durfte der Topolino durch sein Belpaese fahren. 3824 Kilometer lang war die Fahrt mit Ziel Catignano. Auch dort erregten die beiden Ausgewanderten wie überall grosse Aufmerksamkeit. Fein säuberlich führte seine Frau die Dokumentation, zeichnete auf der Karte die Route ein, auch der Benzinverbrauch während des grossen Giro ist festgehalten, auf die Kommastelle genau: 187,86 Liter Normalbenzin verbrannte das  Mäuschen. „Nur die Gesamtkilometerzahl kennen wir nicht“, bedauert Di Cesare, „doch es dürften über 200 000 sein.“

Die Kuckucksuhr schlägt drei Uhr, die schelmischen Augen des gebürtigen Italieners blitzen vergnügt, wenn er von seinem nächsten Traum erzählt. In zwei Jahren will er mit seinem Gefährt nochmals nach Turin fahren, zum 80-Jahr-Jubiläum des Topolino. Schon 1986 und 2006 ging die Fahrt ins Piemont zu den runden Geburtstagsfeiern. Voraussetzung sei, dass alle gesund blieben. „Auch für das Auto gibt es einen Doktor“, erzählt Francesco Di Cesare – und ein grosses Ersatzteillager, falls an der alten Liebe doch mal etwas rostet.

Zum Schluss unseres Gesprächs holt er noch ein weiteres Lieblingsspielzeug hervor: eine wunderschöne handgemachte Organetto abruzzese, eine kleine  Handorgel aus Holz, die er schon in vierter Generation spielt, Tarantelle, Walzer, Polken, alles ohne Noten, aber seit seiner Jugend in Catignano im Ohr gespeichert.  Auch das Instrument kommt jeweils mit auf die Topolino-Reisen, denn ein Autoradio gibt es nicht: „Der Motor ist die Musik.“
Hans Beat Achermann, 14. März 2014