Von einer Welt, die nicht mehr schöner wird

Von Meinrad Buholzer

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag", heisst es in einem um 1812 geschriebenen Gedicht von Ludwig Uhland. Der Publizist Joachim Fest nimmt den Text auf, als er in den 1970-er und 1980-er Jahren durch Italien reist, und fragt sich: „Wie lange ist es her, dass eine solche Gedichtzeile geschrieben werden konnte?" Denn heute, so die unausgesprochene Antwort angesichts der verbauten Küsten, kann man so etwas nicht mehr schreiben.

Tatsächlich wundert man sich, wie in Italien, das doch so lange eine unglaubliche Sicherheit in der Gestaltung von Städten, Piazzen und Piazetten bewies, diese nun von grauenhaft unansehnlichen Agglomerationsgürteln stranguliert und vermüllt werden. Aber auch die Vorstädte, Gewerbe- und Industriezonen in andern Ländern und bei uns bestechen kaum durch ihre Ansehnlichkeit. Ihre Durchquerung ist eine Zumutung – eine Variante von Umweltverschmutzung. Wie konnte es so weit kommen?

Die Verheerungen der Gegenwart

Eine Antwort gibt Joachim Fest in seinem anregenden Italienbuch „Im Gegenlicht" gleich selber, wenn er über die „Verheerungen der Gegenwart" schreibt: „die Betonburgen, Hotels und Kasinos, die die Küsten überziehen, um einer wachsenden Zahl von Menschen das Erlebnis von Einsamkeit und ozeanischer Weite zu verschaffen, das ihnen damit zugleich genommen wird." Die trostlosen Vorstadtbezirke mit den Elendesvierteln und Abfallhalden, die sich unaufhaltsam ins Unberührte vorwärtsfressen, seien schon lang nicht mehr die Rückseite des Modernisierungsprozesses, sondern dessen aufdringliche Vorderansicht.

Doch das allein erklärt nicht den eklatanten Schönheitsschwund. Es rächt sich eben auch visuell, wenn man Leistung, Profit, Effizienz in stetigem Wettbewerb priorisiert und die Ästhetik (und mit ihr Kunst und Geisteswissenschaften) zur fakultativen Freizeitbeschäftigung für Gestrige degradiert. Auch macht sich, wie uns Peter von Matt in Erinnerung ruft, verdächtig, wer heute über Schönheit redet. Ihm werde vorgeworfen, er drücke sich vor der Wahrheit und der Wirklichkeit – so mache man es sich allerdings sehr einfach, meint von Matt. Tatsächlich hat, wer sich im Alltag umhört und umsieht, den Eindruck, wir seien – sowohl visuell wie akustisch – von allen guten Geistern verlassen. Was nicht ohne Einfluss auch auf unsere Umgangsformen (Sprache, Kleidung usw.) bleibt.

Monotone Schachteln fürs Wohnen

Dazu kommt ein seltsames Zonen-Bewusstsein. Auf der einen Seite stellen wir ganze Quartiere und Bauten unter einen Denkmalschutz, der auf musealen Erhalt ausgerichtet ist und auch moderate Änderungen kaum zulässt. Auf der andern Seite sollen Landschaften vor störenden Eingriffen bewahrt werden. Dann aber sind unsere Bemühungen um das Schöne erschöpft. Was dazwischen liegt, ist eine Grauzone, ästhetisches Niemandsland. Dort stehen dann die monotonen Schachteln für Wohnen, Arbeit und Freizeit, bei denen irgendein missverstandener Bauhaus-Funktionalismus Pate gestanden hat.

Armut sei der beste Denkmalschutz, hat uns mal der Historiker Charles-Henri Favrod anvertraut. Was er meinte: Wer auf das Geld schauen muss, überlegt sich zwei Mal, ob er ein Haus abreisst oder ob er es repariert und instand hält. Wo aber genügend Geld vorhanden ist, geht man auch rücksichtsloser vor. Man kann es sich ja leisten. Leider vermehrt sich das ästhetische Bewusstsein in der Regel nicht parallel mit dem Geld – ganz im Gegenteil, ist man geneigt zu sagen.

Kann sein, dass ich mit dieser fragmentarischen Kritik schwarzmale. Schönheit findet sich immer noch auf dieser Welt. Und immer wieder überraschen uns auch ästhetisch überzeugende Bauten. Aber dass die Welt schöner werde mit jedem Tag, das wird heute kaum einer mehr behaupten wollen.

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.