Die diebischen Ältern

Von Hans Beat Achermann

Nachdem wir Alten angeblich mit unsern Renten bereits die Jungen abzocken – was allerdings noch nicht strafrechtlich relevant ist –, sind wir nun auch noch zum Thema in der Kriminalstatistik geworden, und zwar zu einem unrühmlichen. „Senioren stehlen und beleidigen mehr“ titelte die einzige gedruckte Luzerner Tageszeitung. (Frauen bleiben offenbar diesmal aussen vor.) Nun wissen wir’s also. Was uns früher, als wir noch jung waren, als Erziehungsmaxime und versteckte Warnung mit auf den langen Weg gegeben wurde, dass nämlich Müssiggang aller Laster Anfang ist, holt uns jetzt wieder ein. Zeit zum Klauen, Zeit zum Betrügen, Zeit zum Beschimpfen – die steht uns Rentnern ja à discrétion zur Verfügung. Schon der Philosoph Arthur Schopenhauer hat davor gewarnt, dass, wenn der Mensch keine Hindernisse – sprich Arbeit – mehr habe, ihn die Natur dazu dränge, „entweder Händel zu suchen, oder Intrigen anzuspinnen, oder Gaunereien und sonst Schlechtigkeiten: nach Umständen.“ Genau, die Umstände sind’s: Bei Paaren, die sich im Rentenalter scheiden lassen, gerieten die Männer „unter Umständen in schlechte Gesellschaft“, sagt Gerichtspsychiater Josef Sachs. Auch davor wurden wir doch schon in jungen Jahren gewarnt. Doch nicht nur die schlechte Gesellschaft befördert die kriminelle Energie. Auch in besseren Kreisen wird offenbar betrogen (was ja Fussball-Funktionäre nicht erst nach 60 vorgemacht haben): Vermögensdelikte würden gar eher von wohlhabenden Älteren begangen. Bei Ladendiebstählen hingegen würden wir Alte es uns zunutze machen, dass man uns gegenüber mehr Erbarmen zeige. Nein, nein: Wenn wir schon klauen, dann bitte ohne Mitleid. Und manchmal würden wir es so ungeschickt anstellen, „dass die Angestellten von einer Anzeige absehen“, sagt Psychiater Sachs. Da wissen wir also, was in der vielen freien Zeit noch zu tun ist: Üben und nochmals üben. Anders verhält es sich bei Beschimpfungen: Da könne eine beginnende Demenz zu Enthemmung führen (was sich dann aber wieder strafmildernd auswirken dürfte). Also Achtung: Bevor man den Nachbarn als Volltubel begrüsst, ein strafmilderndes Testergebnis der Memory-Klinik einholen. 

Doch trotz teilweiser Verdoppelung der Deliktszahlen in unserer Altersgruppe gilt auch hier bis auf weiteres die Unschuldsvermutung – für Seniorinnen und Senioren. - 10. 6. 2016