Die „ultimative Lösung“ ist keine Lösung

Von Meinrad Buholzer

Nun ist er schon fast ein Jahr im Amt und es mehren sich die Stimmen, die diesen unsäglichen Präsidenten weghaben möchten. Sie haben mein volles Verständnis. Allerdings macht es mich hellhörig, wenn – wie das zunehmend vorkommt – sonst friedliebende Menschen und Gegner der Todesstrafe in diesem Fall mit der „ultimativen Lösung“ liebäugeln.

Vorerst ist festzuhalten, dass sich mit dieser „Lösung“ kein Problem erledigen lässt, das knapp 63 Millionen Wählerstimmen in die Welt gesetzt haben (obwohl knapp 73 Millionen Wähler für andere Kandidaturen gestimmt haben). Mal abgesehen vom Tabu, das eine solche Tat umgibt, besteht die Gefahr, dass der Mann zum Märtyrer würde – eine krasse Fehlbesetzung. Vor allem aber stellt sich, immer wenn ein Führer beseitigt wird, die Frage, wer in die Lücke springt. Und da könnte der Schuss buchstäblich nach hinten losgehen.

Vizepräsident Mike Pence, ungleich versierter im Umgang mit den politischen Institutionen in Washington als sein Chef, könnte dann unter den derzeitigen politischen Bedingungen – auch bei einem allfälligen Impeachment – viele Anliegen der rechten Agenda umsetzen, die bis heute an der Unfähigkeit und am Narzissmus des Amtsinhabers gescheitert sind.

Nicht von der Hand zu weisen ist zudem die Möglichkeit, dass die „ultimative Lösung“ einen Schock auslösen könnte, mit einer breiten Solidarisierung, weit über die politische Rechte hinaus; denn auch gemässigte Kräfte könnten in dieser Situation die Notwendigkeit eines Schulterschlusses sehen, um der Polarisierung Einhalt zu gebieten. Dann könnte er letztlich doch noch Erfolg gehabt haben …

Wir haben Ähnliches schon mal erlebt, in den sechziger Jahren nach der Ermordung von John F. Kennedy; damals allerdings mit einem – nach unserer Überzeugung – besseren Resultat. Kennedy stiess mit seiner gesellschaftspolitischen Agenda auf erbitterten Widerstand der Republikaner; er konnte viele Pläne nicht realisieren. Der Schock nach seiner Ermordung im November 1963 weichte aber die unversöhnlichen Aversionen und die schroffen politischen Grenzen auf und es gab vorübergehend eine Art nationaler Solidarisierung. Kennedys Nachfolger nutzte die Situation mit sicherem Instinkt. Lyndon B. Johnson, ein mit allen Wassern gewaschenes „animal politique“, wusste, dass er schnell handeln musste . Tatsächlich setzte er sein Reformprogramm der „Great Society“ schnell und erfolgreich um. Durch Civil Rights Act und Voting Right Act wurde die Gleichberechtigung der Schwarzen vorangetrieben wie nie zuvor. Und mit seinen sozialpolitischen Reformen senkte er die Armut und verbesserte den Zugang zur medizinischen Versorgung. (Es ist die persönliche Tragik Johnsons, dass ihn sein politischer Instinkt beim Vietnamkrieg im Stich liess, er das Land in eine verhängnisvolle Sackgasse manövrierte und so selbst dazu beitrug, dass seine Verdienste im Schatten des Krieges standen).

Mit andern Worten: Hände weg! So verheerend die Auswirkungen dieser Präsidentschaft auch sind, die „ultimative Lösung“ löst keine Probleme, sie schafft nur neue und könnte zum Bumerang werden.

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.