Begleiten, betreuen, jeder Eskalation ausweichen

Wir treffen uns vor der Arabisch-Stunde. Edith Hausmann (65) lernt die Sprache, um sich etwas verständigen zu können. Die Anspannung ist gross, weil sie nicht weiss, was auf sie zukommt. Am 5. Januar fliegt sie im Auftrag von Peace Watch Switzerland nach Jerusalem, für einen dreimonatigen Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin in Israel und Palästina.

Edith Hausmann ist PR-Fachfrau. Von 2003 bis 2013 arbeitete sie in der Kommunikationsabteilung von Caritas Luzern und war dort für das Fundraising verantwortlich. Im vergangenen Mai war sie auf der Plakatserie von „Altern in Luzern“ porträtiert. Ihr Traum, den sie auf dem Plakat äusserte, nämlich als Menschenrechtsbeobachterin nach Palästina reisen zu dürfen, geht jetzt in Erfüllung.

Der Einsatz ist eine Art von Wiederholung, aber unter ganz anderen Vorzeichen. Edith Hausmann wirkte bereits im Jahre 2007 während drei Monaten in der gleichen Funktion in Mexiko. Zentralort war die Hauptstadt San Cristobal in der Provinz Chiapas. Edith Hausmann erzählt: „Ich erinnere mich gut an den ersten Einsatz in einem Naturschutzgebiet, das von den Zapatisten besetzt gewesen war. Freiwillige patroulierten durch die Wälder, um illegale Abholzungen und Wasserfassungen aufzuspüren. Grund dafür war der ständig zunehmende Bevölkerungsdruck von der Stadt in die Berge. Der zweite Einsatz war in einem Dorf. Dort ging es um Landvertreibungen. Die Provinzregierung erteilte einem kanadischen Unternehmen eine Lizenz zur Goldgewinnung. Die regionalen Behörden, welche von diesem Geschäft profitierten, versuchten die ansässige Bevölkerung zu vertreiben. Es gab einen Überfall von Paramilitärs auf das Dorf, zwei Tage vor unserer Ankunft. Sobald die militärischen Gruppen wissen, dass Menschenrechtsbeobachter im Dorf sind, ziehen sie ab.“ Der dritte Einsatz war im Urwald, im Regenwaldgebiet. Auch dort litten die völlig besitzlosen Indios unter einem mehr oder weniger korrupten Projekt, weil ein Regierungsmitglied auf privater Ebene ein Oekotourismusprojekt mit grossen Hotelbauten förderte. Die Beobachterinnen wohnten im Urwalddorf und boten den Indiofrauen am Tag, wenn ihre Männer der Arbeit nachgingen, etwas Schutz und Sicherheit.

Ein Erlebnis ist bei Edith Hausmann heute noch präsent. „An einem Tag fuhr eine Art Safariauto ins Indiodorf, mit einem Mexikaner am Steuer und zwei weissen Mitfahrenden. Dies führte sofort zu einem Aufruhr. Die Bewohnerinnen begannen auf die ungebetenen Gäste einzureden, und die Fremden, die nur englisch oder spanisch sprachen, wussten nicht, was sie da losgetreten hatten. Man holte mich als Vermittlerin. Ich konnte den Weissen erklären, dass sich die Einheimischen fürchteten, es würde ihnen wieder Land weggenommen. Das Ganze löste sich dann relativ schnell in Minne auf.“

Gute Vorbereitung durch Peace Watch
Die Erfahrung in Menschenrechtsarbeit ist also da bei Edith Hausmann. Was gehörte zu den Vorbereitungen für Aufenthalt und Einsatz in Palästina und Israel? „Wir hatten eine Ausbildungswoche mit verschiedenen Themen. Dazu gehörten Informationen über die Nachbarstaaten Syrien, Jordanien und Ägypten. Auch der geschichtliche Hintergrund im Raum Palästina-Israel wurde erklärt, also der Weg vom Osmanischen Reich über die Britische Kolonie bis zur Vertreibung der Palästinenser durch die Gründung des Staates Israel nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir erhielten Informationen  über all die UNO-Resolutionen  und die aktuelle Idee der Zweistaatenlösung.“

Zu den Vorbereitungen gehörten auch Rollenspiele über den Umgang mit traumatisierten Leuten. Das kommt vor allem auf der palästinensischen Seite vor, beispielsweise wenn die israelische Armee in der Nacht mit Bulldozern auffahren und ganze Häuser zerstören. Die künftigen Beobachter wurden angehalten, sich niemals in Konflikte einzumischen, jeder Eskalation auszuweichen. Die Sicherheit der Menschenrechtsbeobachter gehe in jedem Fall vor. „Angesichts der herrschenden Machtverhältnisse mit den sehr unterschiedlichen Mitteln der beiden Völker dürfte es allerdings schwierig sein, in jedem Fall eine neutrale Haltung einzunehmen“, sagt Edith Hausmann.

Start in Jerusalem
Standort für den Aufenthalt ist Jerusalem. Dort wird über den effektiven Einsatzort entschieden. Das kann Ramallah, Hebron, Dschenin oder Jericho sein. Während des Einsatzes machen die Teilnehmenden eine Informationstour durch Israel, um die Friedensbemühungen auf dieser Seite kennen zu lernen. Die Peace Watch-Gruppe besteht aus vier bis sechs Personen, die zusammen in einem Haus wohnen. Edith Hausmann lernt die Leute, die aus ganz unterschiedlichen Ländern angereist kommen, erst in Jerusalem kennen. Die Arbeiten werden untereinander aufgeteilt. Die Zusammensetzung der Gruppe kann mitunter zu Problemen führen, weil vielleicht sehr unterschiedliche Lebenshaltungen und Vorstellungen über den Einsatz vorhanden sind. Zudem sei der Altersunterschied oft gross, sagt Edith Hausmann. Das Alter könne sich zwischen 25 und 70 Jahren bewegen. „Zwei Personen gehen jeden Morgen an die Checkpoints an der Grenze, zwei weitere beschäftigen sich mit anstehenden Besuchen in Familien und Betreuungsaufträgen, vor allem, wenn Angehörige im Gefängnis der Israeli sitzen.“ Das kommt häufig vor, weil Israel die Administrativhaft praktiziert. Das heisst, dass jemand auch nur auf Verdacht verhaftet und gefangen gehalten werden kann.

Andere Aufgaben warten bei der Begleitung von Kindern, die auf ihrem Schulweg israelische Siedlungen queren oder in der Nähe vorbeigehen müssen. Wenn die Kinder alleine unterwegs sind, werden sie aus den jüdischen Siedlungen mit Steinen beworfen. Auch wenn Kinder durch Checkpoints gehen müssen, werden sie Fall von zu Fall begleitet. Sie haben Angst, weil sie dort von schwer bewaffneten israelischen Soldaten belästigt und bedroht werden.

15. Dezember 2014 – René Regenass

 (Edith Hausmann wird auf dieser Website von „Luzern60plus“ zwei- bis dreimal von ihrem Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin im Nahen Osten berichten.)