Erfahrungen mit und von Zugewanderten


Von Doris Kaufmann

Am 7. Erzählcafé in der Kirche St. Anton vom 8. September 2015 führte Werner Schnieper mit ein paar Zahlen ins Thema ein. Im Quartier Tribschen-Langensand-Matthof wohnen 7500 Personen; davon sind 1600 Ausländer (21.3 Prozent). Mit einem Schmunzeln nannte er sich selbst einen Zugewanderten: von Littau nach Luzern. Wie sich später noch herausstellte, nahmen viele andere Zugewanderte am bereits 7. Erzählcafé teil.
Bald begann ein reges Erzählen von Erlebnissen mit Ausländern und Schweizern. Vielfältige Erfahrungen wurden ausgetauscht. Dies erstaunt nicht, wenn man weiss, dass in der Schweiz heute Menschen aus 195 Nationen leben.

Flüchtlingsbetreuung
Eine Erzählerin erinnert sich noch gut an die Bootsflüchtlinge aus Vietnam, die 1976 in Luzern eintrafen. Sie unterstützte eine vietnamesische Familie tatkräftig bei der Wohnungssuche. Im Pfarrblatt machte sie einen Aufruf, dass für diese Familie auch Möbel gesucht würden. Beim ersten Waschtag in der Schweiz stieg die vietnamesische Mutter von zwei Kindern gleich mit in die Badewanne! Auf den umliegenden Sträuchern verteilte sie dann die Wäsche zum Trocknen. Fremde Länder, andere Sitten! Noch heute leben 670 Vietnamesen und 819 Vietnamesinnen in Luzern.
Es kamen nicht einzig  Bootsflüchtlinge in die Schweiz. Erzählende nannten auch die Flüchtlinge aus Ungarn (1956),  die Tschechen (Prager Frühling 1968) und diejenigen aus dem Balkan. Heute ist das Flüchtlingsthema erneut hochaktuell und weltweit in aller Munde.

Neid und Eifersucht
Als zugezogene Unterländerin erlebte eine Aargauerin, wie in den 1980-ziger Jahren  in Thusis eine Familie aus Laos bei den Einheimischen teilweise Eifersucht und Neid auslöste. Diese Familie wurde von Schweizern grosszügig mit Geschenken überhäuft. Die Kinder hatten bald mehr Kleider und tolle Spielsachen als manche Schweizer Kinder. Und woher kam das Geld für das Auto, obschon der Vater nach einiger Zeit nicht mehr arbeitete? Eines Tages blieben die beiden Töchter im Pubertätsalter sogar unentschuldigt der Schule fern. Nachforschungen hätten dann ergeben, dass die beiden Töchter für den Familienunterhalt sorgten. Womit war leicht zu erahnen – Prostitution.

Schweizer Dialekte
Es wurde über subtile Ausgrenzung und das „Ausgelacht- und/oder Angelacht werden“ gesprochen. Die Vielfalt der Schweizer Dialekte sorgte für einigen Gesprächsstoff.  Wenn eine  „Unterländerin“ in Graubünden kein Romanisch sprach war dies ein grosser Makel, der die Teilhabe, das Akzeptiert- werden sehr erschwerte. Nachdem sie sich im Selbststudium das Romanisch beigebracht  hatte und sie sich bald fliessend in dieser Sprache unterhalten konnte, gehörte sie mehr und mehr dazu.
Im Kollegi Engelberg, wo vor allem junge Luzerner studierten, wurde ein Erzählender, der in Grafenort aufgewachsen war,  ausgelacht, wenn er  seine schmutzigen Finger zu erklären versuchte, indem er sagte: „I ha gnisslet.“ Wer kann das Sprachrätsel knacken?
Wer kennt den Klang des „Bahnhof-Buffet-Olten-Dialektes“? So bezeichnete ein Berner Oberländer seinen heutigen Dialekt. Da er sich sprachlich laufend an seine diversen Wohn- und Arbeitsorte anpasste, veränderte sich sein ursprünglicher Dialekt.  Das Hochdeutsch sorgt bisweilen für Missver-ständnisse und lustige Anekdoten. So fragte eine hochdeutsch sprechende Grossmutter am Mittagstisch ihre Enkel und deren „Gspänlis“: „Wer möchte noch Kartoffeln?“ „Nein danke, Pantoffeln esse ich nicht gerne.“ Eine deutsche Kollegin fragte mal eine Teilnehmerin des Erzählcafés: „Weshalb müssen Kinder in der Schweiz immer Finken anziehen? Das macht für mich keinen Sinn.“ 

Multikulti-Nachbarn
Eine Bewohnerin eines Multikulti-Wohnhauses kennt die Freuden und Leiden internationaler Hausgemeinschaften. Die Kleider in der Waschküche offenbaren der Erzählerin die Herkunft ihrer Nachbarn. Dort hängen bunte Kleider aus Indien bis Afrika. Sie berichtet, wie eine tamilische Mutter spontan an ihrer Türe klingelte, um sie um Hilfe beim Ausfüllen von Formularen zu bitten. Deren Tochter hilft sie ab und zu bei Deutsch-Aufgaben. Als Dank und Anerkennung überreichte ihr die Tamilin eines Tages ein köstliches indisches Gericht. Heute leben 700 Menschen aus Sri Lanka in Luzern. Ganz anders erlebt die Erzählerin die Familie aus dem Belgisch-Kongo. Die Kinder seien sehr verwöhnt, laut und werfen u.a. leere Pet-Flaschen aus dem Fenster. Mit dieser Familie spricht sie französisch, da sie kaum deutsch sprechen könnten.  Sitzt sie auf ihrem Sitzplatz, hofft sie, dass sie von keinem „Flugkörper“ getroffen wird!  Sie stellt fest, dass Rücksichtnahme  für diese Familie noch immer ein Fremdwort sei. Aussprachen hätten leider bis heute keine Verhaltensänderung bewirkt.

Au-Pair im Welschland und England
Als Au-Pair im Welschland französisch lernen, das war früher gross in Mode. Einer Erzählerin gefiel es ausserordentlich gut im Vallée de Joux, bei einer Familie, die eine Molkerei führte. Nach 1-jährigem Welschland-Aufenthalt kehrte sie heim und sagte stolz zu ihrer Grossmutter: “Du hattest nicht recht. Ich bin nicht schon nach 3 Wochen zurückgekehrt!“ Ein anderes ehemaliges Au-Pair arbeitete in Montreux  bei Schwestern, die ein „Maison de Repos“ für Rekonvaleszenten führten. In der Diätküche wurde viel Fenchel gekocht. Alle Speiseresten kamen in eine grosse Schüssel, die im Kühlschrank  stand. Jeden Freitag  erhielten die „Au-Pair-Meitschi“ eine Mahlzeit aus diesen Resten. Alles schmeckte immer nur nach Fenchel! Dieses Gemüse isst sie deshalb bis heute nicht.
Im November 1957 flog eine Erzählerin mit einem Propeller-Flugzeug nach Bournemouth. Das war für sie etwas ganz besonderes. Sie wies uns zudem darauf hin, dass  Bournemouth heute die Schwesternstadt von Luzern ist.
Vieles gäbe es noch zu berichten. Wir bleiben dran und erzählen weiter.

Das nächste Erzählcafé findet am  10. November 2015 statt, 14.30 – 16.30, Kirche St. Anton, kleiner Pfarreisaal, Eingang neben der Velobude.

Die Erzählcafé Daten im 2016: 17.2. | 10.5. | 13.9. | 15.11.2016