Erzählcafé: Leben während des 2. Weltkrieges

Von Doris Kaufmann (Text und Bild)

Im vierten Erzählcafé vom 11.November 2014 erzählten Zeitzeugen, die heute im Quartier Tribschen-Langensand wohnen, im Pfarreisaal St. Anton von ihren ganz persönlichen Kriegserinnerungen.

Werner Schnieper moderierte den Nachmittag. Auf humorvolle Weise führte er seine Erzählcafé-Regeln ein: „Ich agiere heute als Lehrer und bitte Sie, wie damals in der Schule die Hand aufzustrecken, wenn Sie sich zu Wort melden möchten. So spricht nur immer eine Person und wir verstehen uns deutlich.“ Mit einer an die Wand projizierten Themenliste – Aktivdienst, Verdunkelung, Anbauschlacht usw. – erleichterte er den Anwesenden den Einstieg ins Erzählen.

Mobilmachung der Armee vor 75 Jahren
Ein Herr, der damals in Winterthur die Sekundarschule besuchte, erinnerte sich an die Lautsprecherdurchsagen während der Mobilmachung. Die Grenztruppen wurden angewiesen, bis 10 Uhr einzurücken. Am Bahnhof wurden die Truppen dann „ihren“ Zügen zugeteilt.

Anbauen oder verhungern!
Das war in den Jahren 1939/1940 auf Luzerner Plakaten zu lesen. Schon war die Erzählrunde bei den Stichworten Anbauschlacht, Lebensmittelknappheit und -marken angelangt. Mehr dazu.

Ein damaliger Sekundarschüler erinnerte sich, dass auch alle Lehrer eingezogen wurden und der Schulbetrieb vorerst für ca. vier Wochen stillgestanden sei. Kurzerhand wurden aus Schülern Erntehelfer, die die lokalen Bauern bei der Kartoffelernte unterstützten. Die Pausenzeit hatte sich qualitativ nach Wiederaufnahme des Schulbetriebes (mit einem Lehrer und zwei Gymnasiasten) sehr verändert, denn der Pausenplatz war nun ebenfalls ein Kartoffelacker! Eine Frau berichtet, wie sie als Kinder mit einem Kartoffelsack auf die abgeernteten Weizenfelder ausrücken mussten. Jede verbliebene Weizenähre mussten die Kinder auflesen. Der gefüllte Sack wurde bei der Dorfmühle in Hergiswil bei Willisau  abgegeben. Gross war dann die Freude, wenn sie zum Dank im Winter bei der Mühle Lebkuchen und Birnenweggen abholen durften.

In vielen Familien gab es fast keine Butter, höchstens mal an einem Sonntag. Ein Vater war während der Kriegsjahre immer besorgt, dass seine Töchter wenigstens etwas Zucker auf ihre Brotscheiben streuen konnten. Frau Lammer hat der Erzählrunde alte Lebensmittelmarken mitgebraucht. Zur Zeit der Lebensmittelrationierung konnten diese Marken auf der Gemeindekanzlei bezogen werden.

Während des Krieges fehlten die Männer überall. Die Frauen mussten hart anpacken. Der Erwerbsersatz war bescheiden, die finanziellen Mittel meist so knapp, dass sich viele Frauen gezwungen sahen, nebst der Familienarbeit ausserhäusliche Arbeit anzunehmen.

Sehr anschaulich schilderte eine Erzählerin, wie sie und ihre Schwestern ihre Mutter in die Sägerei begleiteten. „Wir haben unserer Mutter Nägel hingehalten, damit diese die Holzrahmen schneller zusammennageln konnte“. „Meine Mutter hat immer nach Öl gestunken! Sie musste in einer Fabrik Hufnägel pressen“.

Pferde und Autos wurden eingezogen
Bauern mussten ihre Pferde für den Dienst abgegeben. Das führte dazu, dass mancherorts die Pflüge stillstanden und die Frauen die Äcker von Hand umstechen mussten. Autos wurden den Besitzern ebenfalls weggenommen. „Ja genau. Sie sind dann mit kleinen Infanteriekanonen bestückt worden und fuhren so herum“; meinte ein Herr, der uns zudem erklärte, dass die Autos damals mit Holzvergasern betrieben worden seien.

Amerikanische Bomber – internierte Polen
Zwei Frauen haben den dumpfen Ton der amerikanischen Bomber noch deutlich im Ohr. Hören sie diesen Ton heute, sehen sie sich automatisch in die Kriegsjahre zurückversetzt. Auf dem Dach des Moosmattschulhauses gab es eine Sirene, die bei Fliegeralarm losging. Manchmal seien 30-40 Bomber gemeinsam unterwegs gewesen, berichtet ein Zeitzeuge, der ganz in der Nähe wohnte.

Eindrücklich eine weitere Klangerinnerung, die zeigt, wie nachhaltig wir Klänge lebenslang mit persönlichen Erfahrungen und Ereignissen verknüpfen. „Ich sass im Keller als die Polen kamen und hörte den Lärm ihrer genagelten Schuhe. Dieser Nagelschuh-Ton versetzt mich wieder in diesen Keller, wenn ich ihn heute höre.“ „Die Polen bauten wunderschöne Wanderwege und eine Kapelle in Giswil. Sie schnitzten schlangenförmige Wanderstöcke mit Schlangenkopf“, erinnert sich ein Erzählender. In Ennetmoos gäbe es eine Polenstrasse und in Grafenort seien Polen in Baracken einquartiert gewesen. Paul Hess weist uns auf das Polenmuseum im Schloss Rapperswil hin. Er selbst hat diesem einmal einen Nachlass überbracht.

Eine Zeitzeugin, die damals in Schaffhausen wohnte, erzählte von angemalten roten Hausdächern mit weissem Schweizerkreuz. So wussten die Gis, dass sie über Schweizer Territorium flogen. Sie erinnerte sich auch, dass ihre Grossmutter noch 1955 die schwarzen Verdunklungsvorhänge benutzte. Die Verdunkelung war obligatorisch; z.T. fuhren Kontrolleure mit Velos durch die Quartiere. „Lichtsünder“ wurden abgemahnt; in Basel sogar mit einer Geldstrafe gebüsst.

GIs auf Urlaub in der Schweiz
Der Kontakt mit den GIs war für viele ein lohnendes Geschäft. Einige Erzählcafé-Anwesende verbinden die Begegnungen mit amerikanischen Soldaten mit Erinnerungen der besonderen Art: Etwa der Stolz an die fast korrekte Aussprache des englischen Wortes „chewing gum” beim Ansprechen der Soldaten oder die Erinnerung an die teuren Nylonstrümpfe, die die Soldaten ihren Schweizer Bekannten mitbrachten. Mehr über die amerikanische Urlauberaktion.

Da wären noch all die vielen unerwähnten Erinnerungen vom „Kaput rollen“, den sich fast prügelnden Frontisten am Bahnübergang in Töss und dem Landesverrat usw. Wir bleiben dran und erzählen weiter.

Ein grosses Dankeschön geht an Imelda Farrer, unserer aufmerksamen Erzählcafé- und Kuchenbuffet-Managerin; ein grosses Kompliment an alle Kuchenbäckerinnen, die ihr Handwerk wahrlich meisterhaft beherrschen.

Das nächste Erzählcafé im Pfarreisaal St. Anton findet am 24. Februar 2015 um 14.30 Uhr statt.

1. Dezember 2014