Fragen fragen

Von Karin Winistörfer

Anfängen wohnt immer ein Zauber inne. Naja, dieser ist vielleicht nicht durchgehend gleich umwerfend, und nicht für alle im gleichen Mass. Aber der Schulstart der Tochter war doch sehr gelungen: Sie darf nun dreimal die Woche Hausaufgaben machen, worüber bei der Heimkehr am Mittag fast das Essen vergessen geht. Sie kann plötzlich überall lesen, was der Welt so Sinnvolles, weniger Sinnvolles und komplett Sinnentleertes verkündet wird. Sie lernt schreiben und rechnen, gewinnt neue Freundinnen und Freunde und viel Selbstständigkeit auf dem Schulweg und dem Pausenplatz.

Und dann eröffnet der Schuleintritt auch den Eltern eine neue Welt: jene der Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen etwa. Diese sind sehr kompetent und erfahren, da habe ich keinerlei Bedenken. Nur etwas lässt mich bis heute ratlos zurück: Alle, die in der 1. Klasse unterrichten, sind Frauen. Weshalb bloss nennen sie sich Lehrpersonen und nicht Lehrerinnen? Oder habe ich da einen wichtigen Schritt in der Sprachentwicklung verpasst und sollte von mir als „wissenschaftlicher Mitarbeitsperson“ und von meinem Partner als „Projektleitungsperson“ bzw. „Geschäftsleitungsmitgliedsperson“ reden?

Nun gut. Ein weiterer kolossaler Schritt in neue Sphären gelang uns (mehr weiblichen als männlichen) Eltern am Eltern(personen?)abend. Die (wie gesagt ausschliesslich weiblichen) Lehrpersonen führten uns souverän in die Schule und die Materie ein und machten damit auch sehr deutlich, dass sich die Schule massiv verändert hatte. Im kleinen Kreis dann, im Schulzimmer unserer Kinder, informierten uns die ….. (ach, das unsägliche Wort geht mir so schwer durch die Finger!!!) …. Lehrpersonen über die Lehrmittel, den Unterricht, die Themen.

Und dann der Höhepunkt: Wir durften Fragen stellen. Dabei reihte sich Highlight an Highlight. Hier zwei besonders gelungene Müsterchen:

- Lehrerin: Für das Znüni am besten geeignet sind ungezuckerte Produkte, z.B. Darvida [ungezuckerte Vollkornbisquits], Früchte und Gemüse. Besser keine Bananen, da diese sehr viel Zucker enthalten, was den Zähnen schadet. Aber das sind nur Hinweise, die Eltern sind völlig frei, was sie ihren Kindern mitgeben. [Hintergrundinformation: Das, wie sich sodann zeigen sollte, mit viel gesellschaftspolitischem Sprengstoff bestückte Thema Znüni wird zusammen mit Eltern und Kindern bereits im Kindergarten erschöpfend behandelt]
- Mutter: Was für ein Znüni soll ich meiner Tochter denn nun mitgeben?
- Lehrerin: Das können Sie selbst entscheiden.
- Gleiche Mutter: Gibt es von der Schule Empfehlungen zum Znüni?
- Lehrerin: Sie können selbst entscheiden, was Sie als Znüni mitgeben.
- Gleiche Mutter: Gibt es eine Richtlinie, zum Beispiel maximal 10% Zucker?
- Lehrerin: Nein, über das Znüni können Sie selbst entscheiden.
- Andere Mutter: Diese ganzen Vorschriften der Schule zum Essen machen die Kinder krank, sie führen zu Essstörungen! Meine ältere Tochter wurde ausgegrenzt, als sie …. blabla …. Nutellabrot, Schoggibisquits … blabla

Hatte die doofe …-Person nicht zugehört? Die Schule macht KEINE Vorschriften für das Znüni! Und so war nun der Zeitpunkt gekommen, um abzuschalten und – ja, gute Idee! – die Lehrmittel genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein beeindruckendes Musik- und Rhythmik-Heft, mit diesem hätte ich auch gern gelernt in der Schule, damals, vor vielen Jahrzehnten…

Ach, aufwachen, da kommt eine neue Frage!
- Mutter: Wie lange sollten die Kinder pro Tag Hausaufgaben machen?
- Lehrerin: 10 Minuten.
- Mutter: Also macht es nichts, wenn sie nicht alle vier Zeilen mit allen Buchstaben schreiben?
- Lehrerin: Nein.
- Mutter: Und wenn sie nur eine von vier Zeilen schreiben?
- Lehrerin: Das ist schon etwas wenig für 10 Minuten. Dann haben sich die Kinder nicht auf die Aufgaben konzentriert. Zwei Zeilen sollten es schon sein.
- Mutter: Aber was ist denn, wenn sie in den 10 Minuten nicht zwei Zeilen schaffen?

Womit wiederum der Zeitpunkt gekommen wäre, mich ins Musiklehrbuch zu vertiefen.

Wie es allgemein der Fall zu sein pflegt, so endete auch die Fragerei irgendeinmal, und wir konnten nach Hause zurückkehren. Ich hätte mich nun sehr aufregen können ob der sinnlosen Diskussionen, der vertrödelten Zeit. Doch eigentlich, wenn ich es mir recht überlege, habe ich an diesem Elternabend doch ganz interessante Erkenntnisse gewonnen. Etwa, dass Zuhören nicht zwingend zu den Grundfähigkeiten unserer Mitmenschen gehören muss. Oder dass man seine umwerfenden Erkenntnisse als Mutter von Kindern höherer Schulklassen für alle, aber auch wirklich alle gewinnbringend und am besten am Elternabend ausbreiten sollte.

Mit diesen fürs Leben zentralen Erkenntnissen bin ich nun gewappnet für die weitere Schulkarriere unserer Kinder. Der Zauber des Anfangs wird sich sicher noch lange erhalten, und ich werde nicht zaudern, möglichst viele Eltern damit zu beglücken. Denn wir haben ja noch ein jüngeres Kind…
3. Oktober 2016