Freiheit

Von Franziska Greising

Eine Million Singvögel werden täglich in den USA von Hauskatzen erbeutet. Das dient als Leitmotiv in Jonathan Franzens Roman „Freiheit“. Eine der Hauptfiguren, Walter Berglund, Amerikaner wie sein Erfinder, studierte Recht und übernimmt die Leitung einer Umweltstiftung. Insbesondere bekümmert ihn ein Waldsänger, der auf alarmierende Weise am Verschwinden ist. Franzen, der “wütende Friedensstifter“ (Zeit online 1.09.2010) bespielt seinen Roman mit all dem, was wir täglich an Aktualitäten den Zeitungen und Abendnachrichten entnehmen und in politischen Wahlprogrammen aufgetischt bekommen. Er arrangiert diese Themen gekonnt in die Biografien seiner Figuren und macht grosse Literatur daraus. Die Millionen gemordeter Vögel zum Beispiel werden zum Streitfall unter gutbürgerlichen Nachbarn in Berglunds Quartier. Diese Nachbarn erhalten einen Namen und eine Geschichte, einige hat die amerikanische Hypothekenkrise bereits aus ihrem Eigenheim vertrieben. Das kennen wir doch, aber bei Franzen (53) gehört es zum Plot und hilft beim Aufbereiten einer Stimmung, die uns nicht unbekannt ist. Und trotzdem lesen wir mit Spannung Seite um Seite. Eine der Nachbarinnen verteidigt ihre Katze, auch wenn das Tier täglich „fängt, spielt, tötet“. Ihre Kinder sollen die Fürsorge für ein Haustier lernen. Ebenso gerät Berglund, der erfolgreiche Umweltagent, zunehmend in Konflikt mit der Kohleindustrie. Zunächst hatte er sich eingeredet, sein Deal mit den Kohlemagnaten sei ein legitimer Schachzug im Kampf um den Naturschutz. Doch eines Tages verliert er den geliebten Job, nachdem er diese problematische Allianz vor sich selbst nicht länger rechtfertigen kann und öffentlich macht.

Erzählend lässt Franzen die Szenen mühelos ineinander gleiten, mitreissend bereitet er uns sein Menü zu aus den Versatzstücken unserer Epoche: Afghanistan, die Zwillingstürme, die unsägliche Ära Bush jun., die schmelzende Arktis treten unaufdringlich in Erscheinung, beinah zufällig. In der Art eben, wie uns Aktualität tagtäglich  in irgendeiner Form begegnet. Immer weiter spult er das Epos und vernachlässigt weder Angst noch Trauer, Leidenschaft oder Borniertheit seiner Figuren, ergründet sie bis ins kleinste, bis da, wo seine Paare sich beim Sex unbeobachtet glauben. Die kriselnde Ehe der Berglunds ist für Franzen kein Grund, die beiden nur noch hasserfüllt aneinander denken zu lassen. Fortwährend ergründet und dokumentiert beispielsweise Patty Berglund ihre und anderer Leute Beweggründe, deren Ursachen und Wirkungen, schreibt im Roman sogar gekonnt einen eigenen Roman über ihr vertracktes und gerade deswegen so alltägliches Leben. So unstet ihr Innenleben erscheint, sie ist der Mittelpunkt im ganzen Geschehen. Der Plot, wie auch die Protagonisten und Protagonistinnen, wenden sich immer wieder ihr zu, die sich stets von neuem aufrappelt und wieder eine um Millimeter verschobene Sichtweise auf das ganze Arrangement gestattet.   (24.08.2012)

Zur Person: Franziska Greising, geboren 1943 in Luzern, zwei verheiratete Töchter, sieben Enkel, Berufsarbeit als Kindergärtnerin, Galeriemitarbeiterin, Dozentin für literarisches Schreiben (PHZ, MAZ u.a), Schriftstellerin. Der erste Roman: Kammerstille, 1983 bei amacher, Luzern; der neuste Roman: Danke, gut, 2011 bei Wallimann, Alpnachdorf. www.franziskagreising.ch