Freizeiten

Von Karin Winistörfer

In der Freizeit hat man freie Zeit. Könnte man denken. Mit kleineren Kindern kann das naturgemäss manchmal etwas anders sein. Nun gut, lassen wir den ganzen Komplex Kinderbetreuung-Aufräumen-Putzen-Einkaufen-Kochen-Waschen mal ausser Acht, der die Zeit neben der Arbeit im Büro bereits recht gut ausfüllt. Was dann noch übrig bleibt, das sollte eigentlich Freizeit sein.

Bis letzten Sommer liessen wir Freizeit auch freie Zeit sein und nahmen uns die Freiheit, immer mal wieder was zu unternehmen, auszufliegen, unkompliziert, unorganisiert. Dann fand in Luzern ein Tag statt, an dem sich die Luzerner Sportvereine präsentieren konnten. Eine tolle Gelegenheit, um vielleicht einen passenden Sportclub für die Kinder zu finden, befand ich. Der Tag war ein voller Erfolg und hatte diese konkreten Folgen:

- Schnupperkurs Eishockey für beide

- Schnupperkurs Karate bei der einen Schule, für die Ältere

- Schnupperkurs Karate bei der anderen Schule, für den Jüngeren

Ausserdem hatten die Kinder eine Flamencoaufführung gesehen, worauf sie einen Schnupperkurs Flamenco besuchen wollten. Und ein Flugblatt flatterte herein, auf dem zum Zirkusschule-Schnupperkurs geladen wurde.

Bereits malte ich mir in düsteren Farben aus, wie diese Kurse bei Gefallen in unsere spärliche Freizeit hineingequetscht werden könnten. Montag Karate für die Ältere und Freitag Zirkus für beide, dann reichts am Samstag für Eishockey wenigstens für die Grössere und Karate für den Jüngeren, und dann müssen wir nur noch am Mittwoch Flamenco unterbringen. Oder vielleicht könnten doch beide Kinder die gleiche Karateschule besuchen, und zwar am Samstag, was einerseits für Flamenco am Montag Platz schafft, doch dafür müssten wir andererseits Eishockey am Samstag sausen lassen. Doch immerhin steht der Weg für Zirkus am Freitag immer noch offen.

Nach kurzer Zeit war ich vor lauter Planen, Hin- und Herschieben und Evaluieren der diversen Alternativen bereits fix und fertig. Und dabei hatte ich noch gar nicht berücksichtigt, dass unsere Kinder fürs Leben gern singen und Instrumente traktieren – vielleicht würden sie auch gern einen Musik- oder Gesangskurs besuchen?

Wir schnupperten und schnupperten also. Eishockey: Fassen der Schutzausrüstung, Einkleiden mit warmen Klamotten und der ganzen Schutzmontur inkl. Helm. Dauer: gegen eine Stunde. Der Hockeykurs verleidete dem Kleineren dann bereits nach fünf Minuten, worauf die Grössere fand, sie könne unter diesen Umständen unmöglich alleine auf dem Eis bleiben (am Kurs nahmen über 40 Knöpfe teil). Das Ausziehen und die Rückgabe der Berge an Material dauerte dann – immerhin – nur noch eine halbe Stunde. Man gewinnt Routine mit der Zeit.

Beim Flamenco hielt der Kleinere eine halbe Lektion durch, danach wollte er lieber Geschichten hören als sich mit komplizierten Körperverrenkungen, unbequemen Stöckelschuhen, schwierig zu treffenden Rhythmen und raschelnden Röcken herumzuschlagen. Die Grössere machte standhaft und beschwingt die drei Probelektionen mit, befand jedoch, dieser Tanz sei viel zu schwierig. Tja, und auch Karate mochte die beiden trotz unzweifelhaft in genügendem Masse vorhandener Schlagkraft nicht wirklich zu überzeugen.

Kurz: Eine verheissungsvolle Sportlerkarriere nach der anderen ging den Bach runter, und das in höllischem Tempo.

Nur die Zirkusschule mochte beiden gleichermassen zu gefallen. Weshalb wir nun unseren ganzen Freitagnachmittag in einem öden Industriegebiet in einem Luzerner Aussenquartier verbringen. Doch drinnen, in der Halle, da steppt der Bär. Da wird Trampolin gesprungen, am Trapez sich hochgehangelt, mit Hula-Hoop-Reifen geschwungen, über Seile gehüpft und Matten gesprungen und gerollt, es entstehen Kinderpyramiden und Horden voller irr umherhüpfender Frösche. Mal sind die Piraten los, mal die wilden Tiere. Dann wieder wird auf rollenden Fässern balanciert. Und manchmal, ja manchmal, da legen sich nacktbäuchige Kinder aufs Nagelbrett, und Jungmagier üben sich darin, die Zuschauer zu verzaubern.

Dies alles macht den Kindern nicht nur ungemein Spass. Es kann auch mit Blick auf das weitere Leben nur von Nutzen sein, wenn man bei Balanceakten nicht grad das Gleichgewicht verliert und im passenden Moment etwas aus dem Hut zaubern kann. Und, ganz unter uns gesagt: Dass ich nach über dreissig Jahren auch mal selbst wieder zu Diabolo, Springseil und Jonglierbällen greifen und – hinter dem dicken Zirkus-Vorhang versteckt – nach Herzenslust üben kann – das ist Freiheit.

Karin Winistörfer, 29. Januar 2017.

Zur Person

Karin Winistörfer, geboren 1974 in Biel, ist seit Herbst 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern. 2001 schloss sie das Studium der Geschichte mit dem Lizentiat ab. Bis 2012 war sie Journalistin und Redaktorin im Ressort Kanton der Neuen Luzerner Zeitung. 2012 bis 2014 absolvierte sie an der Universität Luzern einen Master in Methoden der Meinungs- und Marktforschung. Karin Winistörfer wohnt mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern in der Stadt Luzern.