"Es bleibt nichts anderes, als dem Auto Platz wegzunehmen"

Mit Thomas Hardegger* sprach Beat Bühlmann

In der Fussgängerzone am Quai, zwischen Luzernerhof und Verkehrshaus, gilt ein allgemeines Fahrverbot. SP und Grüne möchten dieses Verbot lockern mit dem Zusatz "Velos gestattet". Mit der Petition "Der Quai zu 100% den Zufussgehenden", unterzeichnet von 2352 Personen, wehrt sich die Regionalgruppe Luzern von Fussverkehr Schweiz gegen dieses Begehren. "Mit Veloverkehr wären die Verletzlichsten unter den Zufussgehenden (Senioren, Kinder, Behinderte, Frauen) stark gefährdet, weil nebst den unsicheren auch etliche zu schnell Fahrende auf dem Quai unterwegs wären."

Der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger ist Präsident von Fussverkehr Schweiz und gehört gleichzeitig dem Initiativkomitee der eidgenössischen Velo-Initiative an. Sie wurde im März 2016 mit 105 000 Unterschriften eingereicht und kommt nächstes Jahr ins Parlament. Die Velo-Initiative verlangt, dass das Velofahren in gleicher Weise gefördert wird wie das Wandern.

Sind Sie ein Fussgänger oder Velofahrer?
Thomas Hardegger:
Beides, und das etwa zu gleichen Teilen. Ich wohne am Dorfrand von Rümlang und benütze regelmässig das Velo. Ich bin aber ebenso oft als Fussgänger unterwegs.

Der Streit zwischen Velofahrern und Fussgänger ist oft emotional, wie man auch in Luzern sieht. Warum eigentlich?
Weil die städtischen Verkehrsplaner den Raum oft gleichzeitig für Fussgänger und Velofahrer freigeben und dann unklare und zum Teil gefährliche Situationen entstehen. Ein Fussgänger auf dem Radweg ärgert den Velofahrer, Velofahrer auf dem Trottoir oder in der Fussgängerzone nerven die Fussgängerin.

Wer sind die "Bösen" in diesem Konflikt?
Weder Fussgänger noch Velofahrer. Wenn schon, dann die Verkehrsplaner. Sie müssten den beiden Anspruchsgruppen genügend Raum zur Verfügung stellen - schnelle Pisten für die Velofahrer, Platz zum entspannten Flanieren und sicheres Vorwärtskommen für die Fussgänger. Damit sich auch diese sicher fühlen.

In Luzern wollen SP und Grüne das Fahrverbot für Velos auf dem Quai aufheben, die Fussgänger, angeführt von Fussverkehr Region Luzern, wehren sich vehement. Was tun?
Wenn der Quai heute vor allem zum Verweilen und Spazieren genutzt wird, ist es nicht sinnvoll, dort eine eine Veloroute zu legen. Wenn das eine wichtige Verkehrsverbindung wäre, müsste man den Quai vielleicht aufteilen und prüfen, wie beide Anspruchsgruppen zu ihrem Recht kämen. Zum Beispiel könnte man einen Radstreifen aussparen und einfärben, so dass sich die Fussgänger sich in Sicherheit wiegen. Das könnte die Situation vielleicht entschärfen.

Warum glauben die Velofahrer, sie könnten die Trottoirs benützen?
Bei hoher Verkehrsbelastung werden Velofahrer häufig durch die Verkehrsführung auf das Trottoir gelenkt, zum Beispiel durch die Signalisation mit dem auf den Boden gemalten Velo. So haben Velofahrende zunehmend kein Unrechtsbewusstsein mehr, wenn sie auf dem Trottoir fahren. Oder die Situation auf der Strasse ist so gefährlich, dass Eltern ihren Kindern raten, auf das Trottoir zu wechseln.

Das ist nachvollziehbar. Doch Velofahrer, das erlebe ich fast jeden Tag, fühlen sich oft nicht an gesetzliche Vorgaben gebunden: sie fahren auf Fussgängerstreifen und Trottoirs, ignorieren Rotlicht, sind zu schnell unterwegs. Wie kommt das?
Das mag vorkommen, doch es gibt auch militante Fussgänger, die manchmal unverhältnismässig reagieren. Im Prinzip gilt: Das Trottoir und der Fussgängerstreifen gehören grundsätzlich den Fussgängerinnen und Fussgängern; das muss von den Behörden konsequenter durchgesetzt werden.

Warum kommen sich Fussgänger und Velofahrer immer mehr in die Quere?
Die Situation hat sich verschärft, seit es die elektrischen Mobilitätshilfen wie Segways oder E-Bikes gibt. Sie machen die Fussgängerzonen zunehmend unsicher. Denn E-Bikes erreichen bis zu 45km/h und sind kaum zu hören. Ich habe deshalb im Nationalrat gefordert, dass die Mischzonen, die vor 20 Jahren durchaus Sinn machten, aufgrund des höheren Verkehrsaufkommens - bei Velos und Fussgängern! - überprüft werden müssten. Vielleicht ist es jetzt nötig, Fussgänger und Velofahrer wieder zu trennen.

"Für getrennte Zonen mit Fussgänger- und Velostreifen gibt es in den meisten Bereichen unserer Stadt schlicht keinen Platz", sagt Baudirektor Adrian Borgula. Wie ist dieses Dilemma zu lösen?
Wir müssen Prioritäten setzen! Urbane Verkehrsplanung bedeutet, dem Fussgänger und dem Velo mehr Raum zu geben. Und das heisst nichts anders, als dem Auto Platz wegzunehmen. Oder zumindest, wie in Zürich, wo in engen Verhältnissen für Tram, Bus und Auto miteinander nur eine Strassenspur zur Verfügung gestellt wird - auch wenn die Autos dann bei den Haltestellen warten müssen. Da wir in den Innenstädten den Raum für den Verkehr nicht erweitern können, geht das zwangsläufig auf Kosten der Individualverkehrs. Das Gewerbe hat zwar oft zuerst protestiert, aber ziemlich bald gemerkt, dass die Umsätze deshalb nicht zurückgehen.

Sie sind Präsident von Fussverkehr Schweiz und gleichzeitig im Initiativkomitee der Velo-Initiative. Wie passt das zusammen?Ich bin explizit als Präsident des Fussverkehrs Schweiz im Initiativkomitee der eidgenössischen Velo-Initiative dabei. Ich will, dass das Velofahren, wie die Wander- und Fusswege, von Bund und Kantonen stärker gefördert wird und mehr Raum zugesprochen erhält. Davon profitieren auch die Fussgänger, weil sie das Trottoir wieder für sich haben. Und wir dort, wo es angezeigt ist, die Mischzonen aufheben und wieder ungefährliche Fussgängerzonen schaffen können. - 10.12.2016

* Thomas Hardegger (60) ist Gemeindepräsident in Rümlang ZH und SP-Nationalrat. Er ist Präsident von Fussverkehr Schweiz.