Iranreise 2008: Georg Anderhub an der Arbeit am Grab von Hafiz.

Georg Anderhub - Erinnerung und Abschied


Genauer und diskreter Beobachter

Mit Ge habe ich - zusammen mit Sina Rowshan, unserem gemeinsamen Freund und Iran-Luzerner – vor einigen Jahren zwei intensive Wochen im Iran erlebt. Ge hat diese Reise in eindrücklichen Bildern dokumentiert und verschiedentlich publiziert.

An zwei Situationen erinnere ich mich nach dem Tod von Georg ganz besonders. In Shiraz und Teheran besuchten wir die Grabstätten zweier Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten:  Hafis (1320-1389), der wohl grösste persische Dichter, und Ayatolla Khomeini (1902-1989), der dem Iran eine religiös-fundamentalistische Diktatur verpasst hat.

Hafis steht für Lebensfreude und Lebensgenuss. Sein Grabmal in einem Park mitten in Shiraz wird täglich von Hunderten von Iranern besucht, die seine Gedichte auswendig zitieren und Rosen niederlegen. (siehe Bild oben: Ge am Grabmal mit Rose)

Ganz anders das Grab von Khomeini, auf einem riesigen Märtyrer-Friedhof bei Teheran, mit Tausenden von jungen Iranern, die im Irak-Iran-Krieg ihr Leben liessen. Im Mausoleum herrscht eine bedrückende Stimmung von Strenge und Unnahbarkeit. (Siehe Bild am Schluss des Beitrages: Das Grab von Khomeini) Georg drückt im Moment ab, als zufällig anwesende Kinder lachend und spielend über die Grabplatte des toten Ayatollas hüpfen. Das Bild vermittelt dadurch überraschend Hoffnung und Lebensfreude, die in krassem Gegensatz stehen zum Ort und zur Person Khomeini.

Beide Situationen zeigen, wie Georg Anderhub gearbeitet hat. Er ist genauer und gleichzeitig diskreter Beobachter, der im richtigen Moment am richtigen Ort ist und sein Bild stets mit Respekt und Achtsamkeit sucht. Eigenschaften, die Georg nicht nur als Fotograf ausgezeichnet haben, sondern auch im Umgang mit uns, die wir ihm begegnen durften und ihn heute vermissen.
Toni Zwyssig


„Der Nebel ist ein Dichter…“

Die Erinnerungen an die letzten vier Monate vor deinem Tod sind im Moment noch die intensivsten: die letzte Umarmung am 1. Juli im Garten an der Berglistrasse, ein letzter Gin tonic, der Besuch im Spital einen Tag vor der Operation mit einem gemeinsamen Selfie und dem Austausch alter Erinnerungen bis zurück ins Jahr 1962, als wir uns erstmals begegnet sind im Klassenzimmer, Untergymi in der alten Kaserne an der Reuss. Unvergesslich ist dein Aufsatz zum Thema „Herbst“, der mit dem Satz endete: „Der Nebel ist ein Dichter, solange er nicht dichter wird.“ Da war schon dein ganzer Sprach- und Bildwitz drin, der deine Arbeiten prägte.

Das erste Porträt von mir machtest du 1964 auf dem Monorail an der Expo in Lausanne, wohin uns eine Schulreise führte, das letzte am 27. Januar dieses Jahres, du hattest keine Speicherkarte in der Kamera, wir haben darüber gelacht und nochmals von vorne begonnen.

Die gemeinsame Arbeit: Es war so beruhigend, dich bei Interviews dabei zu haben als Freund und als Fotografen. Und wenn ich mit meinen Interviewfragen zu Ende war, so hattest du bestimmt noch die Frage bereit, die dann den späteren Text mitprägte, so auch bei unserem letzten gemeinsamen Projekt „Chancen nach 60“.

„Es hätte ein paar Mal auch schon früher fertig sein können“, hast du im Spital gesagt, bereits im Wissen um das nahende Ende und in Erinnerung an eine gemeinsame Schrecksekunde 1971 auf einer Autofahrt in Polen.

Der Satz ist uns kein Trost, auch wenn er dich vielleicht getröstet hat. Es hätte auch alles viel später zu Ende gehen können.
Hans Beat Achermann


Die Eile überliess er anderen

Es war in den siebziger Jahren, als ein Georg Anderhub auf der LNN-Redaktion im fünften Stock des alten C.J. Bucher-Hauses an der Zürichstrasse in mein Büro kam und fragte, ob er ab und zu ein Bild liefern könne. Ich sehe ihn  immer noch dastehen: zurückhaltend, bescheiden, begleitet jedoch von einer unausgesprochenen  Überzeugung, dass er dann schon liefern könne, was ich mir etwa vorstelle. Und so war es denn auch. Georg hatte eben die Ausbildung in der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich abgeschlossen.

Eindrücke aus der langen Zeit des gemeinsamen Schaffens: Ich sehe immer wieder sein abwägendes Suchen nach der Bildidee, wenn ich Georg die Illustration eines Textes vorschlug. „Ja, das kann man machen, aber wie meinst du das? Reicht ein Porträt? Oder wäre es besser, den Bauer an der Arbeit zu zeigen?“ Das Abwägen, das Suchen, das Zuwarten auch, das gehörte zur Persönlichkeit dieses begnadeten Fotografen. Kaum einmal sah ich Georg eilenden Schrittes auf ein Sujet zusteuern. Das überliess er anderen, wissend, dass die Gelegenheit zum treffenden Bild für ihn noch kommen würde. Und so entstanden dann diese Bilder, die niemand erwartete. Verblüffende Perspektiven, Einfälle, über die man oft nur staunte.

Mehrere Jahre teilte ich mit Georg das Büro, das Fotolabor, als man noch Filme entwickelte und in der Dunkelkammer das Licht aus dem Vergrösserungsapparat mit der Hand abwedelte, um das gute Papierbild zu bekommen. An der Museggstrasse waren wir Untermieter bei der Architektengemeinschaft Lauber, Gmür und Lüscher. Wenn Georg im dunkeln Labor arbeitete, brauchte er Musik, klassische Musik. Und er hörte sie laut und kräftig. Wenn dann im Büro für ihn das Telefon läutete, musste ich an die Tür zur Dunkelkammer klopfen. Musik begleitete ihn oft in seiner Arbeit. Das erstaunt nicht. Georg war auch Profi im Zuhören, als jahrelanger Hausfotograf am Lucerne Festival.
René Regenass


Gibraltarstrasse 10

An der Gibraltarstrasse 10 hatte Georg Anderhub sein Atelier. Im kleinen Schaufenster war das legendäre Porträt des weltberühmten Pianisten Artur Rubinstein ausgehängt, eines seiner fotografischen Meisterwerke.  Das Atelier ist geräumt, es wird nun für "Rechtsberatung & Brocante" genutzt. Ihn hätte die ungewohnte Mischung amüsiert, vielleicht wäre ihm das neue Schaufenster eine Foto wert gewesen. Mich hat diese "fremde" Nutzung im ersten Moment irritiert. Nie mehr schnell einkehren, nie mehr einen Kaffee trinken, nie mehr eine kleinere oder grössere Angelegenheit besprechen.

Noch schlimmer ist, ihm nicht mehr telefonieren zu können. Kein "Anderhueb", der sich meldet. Der für spontane Treffen zu haben ist, für kurzfristige Aufträge, für neue Ideen. Was uns fehlen wird, ist sein Blick für das Nebensächliche, das Versponnene, auch das Skurrile. Das Spielerische hat er auch bei "Luzern60plus" eingebracht: mit seinen Figuren auf der Webseite, den lebensnahen Porträts für die Plakatausstellung "Träume kennen kein Alter" oder mit der Idee, am diesjährigen Marktplatz 60plus Selfies von Jung und Alt zu präsentieren. Diese Idee hat Georg nicht mehr selber umsetzen können. Aber er kam mit seiner Frau Pia in der Kornschütte vorbei und schaute sich das alles an. Das war Mitte Mai.
Beat Bühlmann

Lieber Ge

Du bist gegangen. Dein verschmitztes Lächeln, Deine nachdenklich abwägende Miene im Gespräch werde ich nie mehr sehen, Deine ruhige, manchmal bestimmte, manchmal hintergründig-schalkhafte Stimme werde ich nie mehr hören. Deine kompetenten, kritischen, anregenden Einwände und Ergänzungen an unseren Redaktionssitzungen fehlen. Deine Beobachtungen auch der kleinen und kleinsten Details während der Tage im Freundeskreis im Tessin sind Vergangenheit.

Ge, Du bist gegangen. Aber Du bist nicht fort. Du bist da, wenn ich luzern60plus.ch anklicke und mich Deine Figuren durchs Menü führen. Du bist da, wenn sich unser kleiner gewordenes Grüppchen wieder in Morcote trifft. Wenn die Eidechslein über die Mauer huschen, dürre Blätter vom mächtigen Magnolienbaum fallen, die kleinen Orangen reif für den Konfitürensud sind, beim Eindunkeln die Bocciakugeln mit einem trocken klack aufeinandertreffen. Dann bist Du immer da.

Du bist gegangen. Aber Du bist nicht fort. In Erinnerung bist Du da, bleibst Du da.
Hanns Fuchs

(Das Bild oben entstand bei einem Morcote-Aufenthalt)


Noch voll im Leben

Gegen ein Uhr an einem Dezembertag läutet es an der Haustür, aus der Gegensprechanlage Pascales Stimme, ich erwarte die Zürcher Freundin zum Zmittag. „Georg steht neben mir“, sagt sie. Überrascht und erfreut, bitte ich Georg, auch hochzukommen.

Ich hatte gewusst, dass die beiden – sie als Schreibende, er als Fotograf – am Vormittag ein Interview mit einem spät berufenen Alphornbläser hatten, das letzte einer ganzen Reihe für einen Portraitband. Dass es danach zum spontanen Besuch von Georg kommen würde, hatte ich nicht geahnt. Und schon gar nicht, dass dies eine der letzten Begegnungen vor Georgs Erkrankung sein würde in der Geschichte, die uns beruflich erst in den letzten Jahren näher verbunden hat.

Was ich erinnere an diesen Mittag: Georg voll im Leben mit seiner passioniert ausgeübten Fotografie. Entspannte Heiterkeit beim Essen und einem Glas Rotwein. Georg, der von der Begegnung mit Peter, dem Interviewpartner von vorher erzählt, wie er die richtige Distanz finden musste – nahe bei der Person, Alphorn und Hund mit auf dem Bild. Georg, der davon berichtet, wie vielen spannenden Menschen er für dieses Buchprojekt ‚Chancen nach sechzig‘ begegnet ist, in was für Lebensgeschichten er Einblick erhalten hat. Ich konnte mir vorstellen, wie er beim Fotografieren vorging: sensibel, wach, die Kamera von den Portraitierten kaum wahrgenommen, im Ergebnis Züge ihres Wesens präzise eingefangen. Genauso habe ich ihn erlebt bei den wenigen gemeinsamen Arbeiten.

Es sollte sich bald danach herausstellen, dass das Buch sein letztes Fotoprojekt gewesen und zum letzten Zeugnis seiner Fotokunst geworden ist. Ein Glück, dass Georg an der Vernissage noch teilnehmen konnte, im vollen Wissen um die Unheilbarkeit seiner Krankheit und dennoch heiter. – Heiter und souverän, so bleibt Georg in meiner Erinnerung, in der dieser Mittag im Dezember besonders präsent ist.
Marietherese Schwegler


Gedanken

Unser gemeinsamer Schnittpunkt, die Fotografie.
Der erfahrene und passionierte Fotograf nahm mich während meiner dreimonatigen Intensivweiterbildung als Sekundarlehrer unter seine Fittiche. Er führte mich in die Geheimnisse und die Komplexität der Fotografie ein und teilte mit mir seine Begeisterung für den Beruf, seine Leidenschaft für ein gutes Bild, seine Präzision und Perfektion für das richtige Licht, sein Auge für eine gelungene Bildkomposition. „Dein Bild muss eine Geschichte erzählen, nur so wird es zu Fotografie.“ – Nun, während meiner eigenen kreativen Arbeit, wenn ich durch den Sucher der Kamera schaue, höre ich immer wieder Ge: „ Dein Bild…“

Für die wertvollen Gespräche, Begegnungen und Stunden mit Ge bin ich dankbar. Ges Gedanken werden mich begleiten und ich hoffe, dass es mir gelingt, dass eines meiner Bilder eine Geschichte erzählt.
Joseph Schmidiger

Links zu Webseiten:

www.anderhub.lu

http://www.lu-wahlen.ch/kolumne-der-redaktion/news/2015/07/20/8830-fotograf-georg-anderhub-ist-mit-66-jahren-einem-gehirntumor-erlegen/