Neue Erfahrungen im Bleistiftgebiet

Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Die gespitzten Bleistifte in diversen Härtegraden liegen auf dem grossen Holztisch bereit, ebenso Zeichenpapier. Ruedi Eggerschwiler, 59, nimmt einen Bleistift Härtegrad 5B, schaut auf die Fotovorlage, Schwarzweiss-Abbild eines Thonet-Stuhls. Mit sechs habe er einen Zeichenwettbewerb in Kriens gewonnen, anlässlich des Schlösslifestes, das Bild wurde ausgestellt, sechs Schnecken waren drauf. Doch nach der Schule hat er das Zeichnen aufgegeben. Jetzt, mit bald 60, hat den Stadtluzerner die Lust gepackt, „wieder etwas mehr Sinnlich-Handwerkliches“ anzugehen. „Zeichnen hat zudem auch etwas Meditatives“, hat er in den letzten Monaten festgestellt.

Zwischenräume entdecken

Einmal in der Woche lässt er sich nun in einer Kleingruppe von der 40jährigen Shirin Gadea eine Aufgabe geben. „Das ist vielleicht das Wichtigste: Ich habe gelernt, genau zu schauen“, erzählt er. In der momentanen Übung geht es darum, nicht vom Objekt auszugehen, sondern von den Zwischenräumen. „Kinder beziehen automatisch die Umgebung mit ein, Erwachsene müssen lernen, das Objekt zu vergessen“, erläutert die ausgebildete Designerin, die viele Jahre in der Modebranche gearbeitet hat, ihre Methode. Sie hat festgestellt, dass ältere Kursteilnehmende schneller konzentriert arbeiten können, „schneller in der Ruhe sind, die es fürs Zeichnen braucht“. Zudem sei es spannend, mit älteren Menschen zu arbeiten, die viel Lebenserfahrung und Wissen mitbrächten.

Eigene Lösungen suchen

Sie sitzt häufig während der Lektionen etwas abseits, lässt die Zeichnenden arbeiten und greift nur sporadisch ein. „Aber sie ist die Chefin oder die Gouvernante“, sagt der als selbstständiger Psychologe arbeitende Ruedi Eggerschwiler schmunzelnd. „Wichtig ist der Prozess, nicht das Ergebnis“, führt Shirin Gadea aus. „Jede und jeder soll seine eigenen Lösungen suchen und finden, es gibt keine Wertung. Zeichnen ist zudem eine gute Übung, um die rechte Hirnhälfte zu aktivieren.“

Seit Februar bietet Shirin Gadea Kurse für verschiedene Zielgruppen an, auch für Kinder. „Ich bin der Meinung, dass die Kreativität heute viel zu kurz kommt, auch in der Schule.“ Deshalb plante sie schon länger, Gestaltungskurse und Workshops anzubieten. Ursprünglich war der Sedel als Kursort vorgesehen, doch dann ergab sich die Chance, im neu erbauten Haus Altsagen, das der ehemalige Professor für Raumentwicklung Kurt Gilgen und Partner von Shirins Mutter erbauen liess, einen geeigneten Raum zu mieten. Im Haus hat auch die professionelle Künstlerin Verena Voser ein Atelier bezogen, und in einem angrenzenden Veranstaltungsraum lassen sich Feste feiern oder andere Events (Ausstellungen, Konzerte, Kulturelle Anlässe, Proben, Lesungen, Auftritte, Performances) durchführen. Verantwortlich dafür ist Kurt Gilgens Sohn Dave. Das Generationenprojekt funktioniert also auf verschiedenen Ebenen.

Ruedi Eggerschwiler legt den Bleistift zur Seite, versorgt die angefangene Arbeit im Regal, Shirin, die zierliche „Chefin“, wohlwollend und humorvoll, ist zufrieden. Eggerschwiler plant, nächstes Jahr sechs Wochen lang einen Teil des Jakobswegs nach Santiago zu pilgern, auch eine Form der Meditation. Noch weiss er nicht, ob er Block und Bleistift mitnimmt. Jetzt, nach der Zeichenstunde, hat er noch Guggenmusigprobe, er spielt Trompete. Da dürfte es wieder lauter werden als im werkraum3. Und lauter wird es auch bei Shirin Gadea: Zuhause warten die Zwillinge.

Weitere Infos: www.werkraum3.ch

25. Juni 2016