Vermögen im Alter höchst ungleich verteilt

Zur Illustration seien hier zwei reale Beispiele aus dem Kanton Zürich genannt: Ein vor kurzem verstorbener 101-Jähriger hinterlässt seinen beiden Nachkommen 7 Milliarden Fran­ken. Jeder von ihnen hat somit zwischen 3 und 4 Milliarden Franken geerbt. Damit könnte jeder von ihnen alle Wohnungen und Einfamilienhäuser im Kanton Appenzell Innerrhoden erwerben. Ein bekannter 30-jähriger Partylöwe, der mit seinen Eskapa­den auch immer wieder die Justiz beschäftigt, hat von seinem Vater, dem ehemali­gen Eigentümer eines Aviatikunternehmens, einen dreistelligen Millionenbetrag ge­erbt. Damit wird er seinen Lebensstil ohne eigene Leistung weiterpflegen können.

Vermögen bei einigen Reichen konzentriert
Die hohen Erbschaften führen dazu, dass die grössten Vermögen generationenüber­greifend weiter wachsen und sich dadurch die bereits heute bestehende extreme Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen verschärft. Im Kanton Zürich, der zu den wenigen Kantonen mit einer detaillierten Vermögensstatistik gehört, besitzen die drei Reichsten zusammen gleich viel wie die Hälfte der ärmeren Steuerpflichtigen. Die zehn Reichsten besitzen soviel wie zwei Drittel und die hundert Reichsten gleich viel wie drei Viertel der Steuerpflichtigen. Gemäss einer im Januar 2011 von der Credit Suisse veröffentlichten Studie besitzt das reichste Prozent der Personen in der Schweiz rund 58,9 Prozent des gesamten Vermögens. Das bedeutet, dass sich 99 Prozent der Bevölkerung mit weniger als der Hälfte des Vermögens begnügen müssen. Damit weist die Schweiz die höchste Vermögens-konzentration aller wirtschaftlich hoch ent­wickelten Länder auf.

Keine eidgenössische Erbschaftssteuer
Wie kommt die Schweiz auf diesen Podestplatz? Es gibt zur Hauptsache drei Gründe dafür. Erstens wurde unser Land von den beiden Weltkriegen verschont. Anders als in den meisten übrigen europäischen Ländern wurden keine Vermögenswerte zer­stört und die Schweizer Dynastien konnten ihre Reichtümer ungehindert weiter ver­mehren. Zweitens bietet sich die Schweiz seit Jahrzehnten reichen Ausländern als Steuerfluchtort an, was zu einer ständigen Zuwanderung von Reichen und Superrei­chen führt. Zum Dritten gibt es in der Schweiz als einem der ganz wenigen Länder in Europa praktisch keine Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen. Die grossen Vermögen können so ungeschmälert von einer Generation auf die nächste übertra­gen werden, wodurch die Vermögensakkumulation ständig weiter geht.

Bestehendes Steuersystem diskriminiert
Personen, die Hunderte von Millionen erben, ohne auch nur einen Finger krümmen und in der Regel ohne auch nur einen Franken Steuern dafür bezahlen zu müssen, sind die eigentlichen Abzocker in unserem Land und nicht etwa die Manager mit ih­ren Boni. Diese müssen ja immerhin noch eine gewisse «Leistung» dafür erbringen und auf den erhaltenen Beträgen Steuern bezahlen. Eigentlich ein Irrsinn: Der eine, der für harte Arbeit zum Beispiel im Jahr 80 000 Franken verdient, hat Steuern zu bezahlen, der andere, der den tausendfachen Betrag geschenkt bekommt, rein gar nichts.

Zwar gibt es in der Schweiz in allen Kantonen ausser dem Kanton Schwyz Erb­schaftssteuern, aber die – meist sehr geringe – Besteuerung der direkten Nachkom­men wurde nach Mitte der Neunzigerjahre in fast allen Kantonen im Zuge des inter­kantonalen Steuerwettbewerbs abgeschafft. So besteht heute die Situation, dass jene Erben, die als direkte Nachkommen seit ihrer Geburt auf vielfältige Weise vom Reichtum ihrer Eltern profitieren können, von der Erbschaftssteuer befreit sind, wäh­rend die entfernt oder Nichtverwandten Erbschaftssteuern mit Sätzen bis zu 49 Prozent bezahlen müssen. Diese Diskriminierung der Nichtverwandten beschleunigt die Kon­zentration der Vermögen bei den Reichen. Höchste Zeit also für eine nicht diskrimi­nierende Erbschaftssteuer. 

Für liberale Chancengleichheit
Die Erbschaftssteuer ist die liberalste und gerechteste Steuer. Liberal ist sie, weil die höchst ungleiche Verteilung der Vermögen dem liberalen Gedanken der Chancen­gleichheit widerspricht und eine Erbschaftssteuer hier korrigierend eingreift. Gerecht ist sie, weil sie jene besteuert, die ohne eigene Leistung zu grossen Vermögen ge­langen. Eine wirksame Erbschaftssteuer kann nur auf Bundesebene realisiert werden. Nach der Abschaffungswelle in den Kantonen ist an eine Wiedereinführung von kantonalen Erbschaftssteuern nicht zu denken. Da alle in den vergangenen zwanzig Jahren ein­gereichten Vorstösse zu einer Bundeserbschaftssteuer im Nationalrat versenkt wur­den, ist zudem einzig der Weg über eine eidgenössische Volksinitiative zum Ziel führend. Dabei geht es nicht um eine neue Steuer, sondern um eine Steuerreform, die den föderalen Wildwuchs und den schädlichen interkantonalen Steuerwettbewerb besei­tigt.

Im August 2011 haben EVP, SP und Grüne zusammen die eidgenössische Volksini­tiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» lanciert. Es ist eine Nach­lasssteuer, die auf dem gesamten hinterbliebenen Vermögen erhoben wird, anstatt einer so genannten Erbanfallsteuer, bei der die den Erben zufallenden Vermögens­werte erfasst und die direkten Nachkommen mit tieferen Sätzen bevorzugt werden. Eine Nachlasssteuer verursacht weniger Erhebungsaufwand als eine Erbanfallsteuer. Das finden auch die beiden Ökonomen Alois Bischofberger und Rudolf Walser von avenir suisse im kürzlich erschienen Buch «Steuerpolitische Baustellen».

Freigrenze von 2 Millionen Franken
Da die Steuer die zunehmende Reichtumskonzentration ins Visier nehmen will, wer­den nur Nachlässe ab 2 Millionen Franken besteuert. Kleinere Beträge bleiben steu­erfrei, weil diese zu einer breiteren Verteilung des Volksvermögens beitragen. Der hohe Freibetrag ist auch deshalb nötig, damit die Initiative in der Volksabstimmung überhaupt eine Chance hat. Die Abschaffung der kantonalen Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen gelang nicht zuletzt deshalb, weil – zum Teil –  bereits extrem kleine Erbschaften besteuert wurden. Im Kanton Jura betrug zum Beispiel die Frei­grenze lediglich 1000 Franken.

Nachlässe über 2 Millionen Franken werden mit einem einheitlichen Satz von 20 Prozent besteuert. Zur Verhinderung der weiteren Vermögenskonzentration wäre ein höherer Satz erwünscht gewesen. Um die Realisierungschancen zu wahren, wurde aber da­rauf geachtet, dass die Steuersätze unterhalb den Sätzen der wichtigsten Nachbar­länder bleiben. Damit die geplante Erbschaftssteuer nicht Familienbetriebe in ihrer Existenz bedroht, wird für KMUs ein zusätzlicher Freibetrag und ein tieferer Steuersatz gewährt, aller­dings mit der Auflage, dass der vererbte Betrieb durch die Erben eine gewisse Zeit lang weitergeführt wird.

Zwei Milliarden pro Jahr für die AHV
Die geplante Bundeserbschaftssteuer würde rund 3 Milliarden Einnahmen pro Jahr generieren. Zwei Drittel des Ertrages fliessen in den AHV-Fonds. Mit dieser Zweck­bindung kann Druck von der AHV genommen werden, der in absehbarer Zeit infolge der steigenden Lebenserwartung entstehen wird. Es drohen mittelfristig Rentenkür­zungen oder die Erhöhung der Beitragssätze. Höhere Beiträge würden die Arbeits­einkommen belasten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schwächen. Mit der Verwendung der Erträge aus einer Bundeserbschaftssteuer für die AHV könnte dieser Entwicklung, welche die Solidarität zwischen Jung und Alt gefährdet, entgegen gewirkt werden. Weil heute Erbschaften meist erst im Rentenalter anfallen, wäre eine solche Lösung auch ein Akt der Solidarität der reichen gegenüber den är­meren AHV-Bezügern. Ein Drittel der Einnahmen bleibt bei den Kantonen. Damit er­halten sie einen Ausgleich für die wegfallenden kantonalen Erbschaftssteuern.

Hans Kissling (Mediendienst Hälfte) - 23. Juli 2012
Der Zürcher Hans Kissling ist Ökonom und war früher Chef des kantonalen Statistischen Amtes ZH.

www.erbschaftssteuerreform.ch