Wahlen 2015

von Judith Stamm, Luzern

Und wieder beginnt der parteipolitische Wettkampf. Aber wer nie kleine Buben im Sandhaufen hat spielen sehen, kann (Partei-)Politik nicht verstehen! Im Sandhaufen ist es so: die Buben spielen einträchtig. Da trollt sich ein Neuer hinzu. Das Spiel wird unterbrochen, es wird gekämpft bis feststeht, wer der Stärkste ist. Ist diese Frage geklärt, spielen alle zusammen mit dem Neuen weiter. Und plötzlich fällt es einem anderen ein, die gemeinsam erbaute Sandburg zu zerstören. Spontan, mit wenigen Griffen. Die anderen sind überrascht und wütend, aber der Störefried lacht sich nur ins Fäustchen.  Der Unfriede dauert meist nicht lange. Man will ja zusammen etwas erreichen und findet sich wieder! Ungefähr so habe ich es früher  beobachtet. Ähnlichkeiten mit Abläufen in der Parteipolitik scheinen mir nicht zufällig zu sein!

Einer unserer Parteipräsidenten hat vor wenigen Tagen im persönlichen Gespräch in Abrede gestellt, dass das Verhältnis zu seinen Kollegen in Bern schlecht sei. Die Medien würden gelegentliche negative Äusserungen aufbauschen und als Totalbild zeigen. Mag ja sein. Es gibt  von allem, was gezeigt werden kann, schönere und weniger schöne Seiten, je nachdem wohin der Blick fällt. Ich denke, das müssen wir im Auge behalten. Denn im Jahr 2015 werden im Herbst die National – und Ständeräte gewählt. 

Wie machen sich Wählerinnen und Wähler eine Meinung über die Persönlichkeit der Kandidierenden? Hilfen gibt es genug: bunte Flyer, Porträts in den Medien, Veranstaltungen. Nur, die Anzahl der Kandidierenden übersteigt die Zahl der freien Sitze bei weitem. In einem kleineren Kanton kann der Überblick noch gewahrt werden, in einem grösseren Kanton ist das unmöglich. Manchmal gebe ich den Rat: „lade die Person, die Dich interessiert, zum Kaffee ein und fühle ihr auf den Zahn“. Das will fast niemand machen, tausend Ausreden werden vorgebracht. Das verstehe ich nicht. Denn es sind ja „unsere Abgeordneten“, die wir da wählen. Und ich möchte die Kandidatin, den Kandidaten sehen, der sich nicht zu einem persönlichen Treffen einfinden wollte.

Und dann mache ich noch einen weiteren Hinweis. Kandidierende müssen heute „medientauglich“ sein. Das wird so herum geboten. Bei Mitgliedern des eidgenössischen Parlamentes würde ich das nicht einfach bestätigen. Medientauglichkeit ist eine hilfreiche Eigenschaft für politisierende Zeitgenossen. Wer über ein Thema druckreif in ein Mikrophon spricht, wird immer wieder angegangen. Aber über die Durchsetzungsfähigkeit, Hartnäckigkeit, die Kunst, über Fraktionen hinweg Koalitionen zu schmieden, sagt das gar nichts aus. Ich habe es erlebt, dass ein Parlamentarier, dessen Name nicht schweizweit leuchtete, seine Anliegen im Parlament immer wieder durchbrachte. Weil er still und leise Verbündete in anderen Fraktionen suchte, sogar einem anderen eine gute Idee abtreten konnte, wenn das mehr Erfolg versprach. Ich war jeweils sehr beeindruckt. Und so lohnt es sich bei wieder Kandidierenden etwas nachzufragen oder nachzulesen, wofür sie denn während der letzten vier Jahren standen, sich einsetzten.

Wahlen liegen uns in der Schweiz nicht so sehr am Herzen, heisst es gelegentlich. Wir können ja durch Volksinitiative und Referendum direkt in das Schicksal unseres Landes eingreifen. Das stimmt. Wenn wir aber die nationale Politik interessiert verfolgen, stellen wir fest, wie viele wichtige Entscheidungen im Parlament gefällt werden und gar nie vor das Volk kommen. Daher lohnt es sich, der Wahl der Mitglieder von National- und Ständerat die nötige Aufmerksamkeit zu schenken! Und das früh genug, damit wir Zeit haben, uns eine fundierte Meinung zu bilden.

21. September 2014

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und deren Rütlikommission. Heute geniesst sie ihren Ruhestand in Luzern.