Wenn Gockel Gewichte heben

Von Karin Winistörfer

Damals, als ich noch jung war, ging ich ein- oder mehrmals pro Woche ins Fitnesscenter. Nun habe ich zwei kleine Kinder, ein Masterstudium und null freie Zeit. Ausser für einen kurzen Rückblick auf eine Lebensphase, von der weniger die sportlichen Errungenschaften als vielmehr die menschlichen Erkenntnisse haften geblieben sind.   

So war es, damals, nicht schwer zu erkennen, welche Männer Wert auf ihr Äusseres legten. Spaghetti-Träger-Shirts und kurze Hosen, das Frotteetuch lässig über die Schulter geschwungen. So liessen sich die über Jahre aufgebauten Muskeln optimal präsentieren.

Eigentlich fing ich mit dem Training im Fitness-Center an, weil ich beim Joggen draussen auf dem Asphalt Knieprobleme kriegte. Auch eine Physiotherapie half nicht wirklich. Im Fitness-Center sind die Ausdauergeräte gefedert, so das Laufband und der Cross-Trainer. Das schont die Gelenke. Leider gibt’s keinen Ersatz für die wundervolle Stimmung, wenn man an einem stillen Sonntag frühmorgens dem See entlang Richtung Schönbühl joggt, dann hoch zur obersten Siedlung, im Wald eine kleine Runde dreht und zurückläuft. Zwischendurch zufriedene Senioren grüsst, die auf den Sitzbänken ihre Zeitung lesen. Oder mit ihrem Hund Gassi gehen. Denn ältere Leute traf ich morgens viele unterwegs, weil sie Zeit hatten, nicht mehr schlafen konnten, die Morgenkühle geniessen wollten.

Aber item. Die Instruktion an den Kraft-Geräten war gut, die Trainerinnen hilfsbereit. Die Übungen waren zwar anstrengend, aber auch wohltuend. Sie stärkten den Rücken, die Beine, die Arme, und halfen so, den ganzen Bewegungsapparat zu stützen. Das Ausdauertraining brachte den Kreislauf in Schwung, ohne die Gelenke zu verschleissen. Ich war kaum je krank, fühlte mich in Form und ausgeglichen.

Wenn da nur die erwähnten Spaghetti-T-Shirt-Träger nicht gewesen wären.

Hoch erhobenen Hauptes stolzierten sie umher, machten ihre Übungen mit Gewichten, die einen Normalsterblichen in Nullkommanichts in die Knie gezwungen hätten. Zwischendurch wischten sie sich theatralisch den Schweiss von der Stirn. Und kontrollierten, ob sie auf die – weiblichen – Anwesenden auch wirkten.

„Die Frauen trainieren die Armmuskeln, damit die Brüste nicht schlaff werden“, meinte neben mir fachkundig einer dieser Typen. Der gute Mann konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass es auch andere Gründe als rein äusserliche geben könnte, weshalb jemand Krafttraining machte. Und überhaupt, konnte das mit den Armmuskeln und den Brüsten wirklich stimmen?

Ein andermal, ich war mit meiner Tochter im fünften Monat schwanger, trainierte ich gemütlich am Crosstrainer. Also so sah es aus, aber für mich war’s anstrengend, da der Kreislauf in der Schwangerschaft doppelt belastet ist. Ein anderer netter Herr sagte zu seiner Kollegin, die sich neben mir abrackerte, etwas von „Schwangerschaftstraining“. Er versuchte nicht einmal, den verächtlichen Ton in seiner Stimme zu verbergen.

Dass ich nicht mehr ins Fitness gehe, hat nichts mit den Männern zu tun, die sich nur um ihr Äusseres sorgen. Die nach dem Training einen Ein-Liter-Magermilch-Drink mit extraviel Vanille- oder Bananen-Protein-Muskelaufbaupulver kippen. Und die sich, vielleicht, zu Hause irgendwas spritzen. Sondern damit, dass ich mit inzwischen zwei Kleinkindern viel auf den Beinen bin und so regelmässig Krafttraining habe, mehr oder weniger freiwillig. Zeit fürs Fitness bleibt nicht. Worüber ich nicht nur traurig bin.

Denn eines ist sicher: Die Gockel, die vermisse ich nicht.
8. September 2013

Zur Person
Karin Winistörfer
, geboren 1974 in Biel, ist Masterstudentin an der Universität Luzern (Master of public opinion and survey methodology). 2001 schloss sie ihr erstes Studium der Geschichte und Soziologie mit dem Lizentiat ab. Danach war sie bis 2012 als Journalistin und Redaktorin im Ressort Kanton bei der Neuen Luzerner Zeitung tätig (Schwerpunkte Politik, Hochschulbildung, Gesundheit/Spitäler, Strommarkt, Gemeinden). Karin Winistörfer wohnt mit ihrem Lebenspartner und ihren zwei kleinen Kindern in der Stadt Luzern. Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Generation hat sie keine Angst, bald 40plus zu sein.