Singen ohne Schutzmaske. Der Knabenchor der Kirche St. Karl Ende der 50er Jahre.

Corona im Alltag (14)

Kirche und Kino im Kopf

Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)
Zwischen Laptop und Drucker surrt eine Wildbiene, während ich versuche, auf den gestrigen Tag zurückzuschauen, den Karsamstag. Vorerst erinnere ich mich an die späten 50er Jahre. Als Chorknabe in der St-Karli-Kirche war der Ostersamstagabend jeweils ein Höhepunkt im Kirchenjahr: Während wir in die volle und abgedunkelte Kirche – mit Kerzen in den gefalteten Händen – durch den Mittelgang Richtung Altarraum marschierten, im hellen, knöchellangen Leinengewand und mit den noch ungebrochenen Sopranstimmen „Lumen Christi" sangen, zuerst pianissimo, am Schluss fortissimo, worauf die versammelte Kirchgemeinde „Deo gratias" antwortete. Dann gingen im Kirchenschiff langsam die Lichter an.

Zurück zum diesjährigen Karsamstag:
7.59: Der Radiowecker ist noch stumm. Meine Partnerin schläft noch. Ich gehe trotzdem duschen und die italienische Bialetti-Kaffeekanne aufsetzen. Wie immer.

8.30: Im Radio läuft jetzt „Kino im Kopf". Die Sendung hiess schon so, bevor die Kinos geschlossen wurden. Statt auf Leinwandprojektionen wird jetzt auf Streaming-Dienste hingewiesen. Mir reichen vier, fünf TV-Programme, auch in diesen Tagen.

8.50: Ein Blick aufs Natel zeigt mir unaufgefordert, dass ich gestern 2 Stunden und 7 Minuten auf dem Handy online war, dass ich es 38mal entsperrt habe. Als alter Newsjunkie ist man in Corona-Zeiten besonders suchtgefährdet.

9.40: Wäsche aus der Trommel nehmen und an der Sonne zum Trocknen aufhängen. Werden Viren bei 60 Grad abgetötet oder braucht es noch einen Ethanol-Zusatz?

10.00: Im Garten Tagi und LZ lesen. Irgendwann wird es Dissertationen geben über die Berichterstattung zum Virus. Zum Beispiel: Beeinflusst das Lesen über die Krankheit den Schweregrad des Krankheitsverlaufs? Im „Magazin" antwortet Katja Früh auf die Frage: Welche Bedeutung hat es für Sie, noch lange weiterzuleben? „Enkel, Rotwein, Freunde, Wiener Schnitzel." Enkel habe ich nicht. Beim andern kann ich zustimmen. Aber es darf auch mal ein Riesling sein oder ein Teller Orecchiette. Und noch ein paar Mal das Meer sehen und riechen.

14.00: Die Wäsche ist trocken, der Tag noch lang. Über Luzern ist ein Düsenjet zu hören. Auf dem Flightradar sehe ich, dass die Emirates-Maschine aus Dubai kommt und nach Paris fliegt. Wer fliegt jetzt noch von Dubai nach Paris? Mehr als 13 000 Tote in Frankreich. Dubai ist nicht auf der Liste.

23.00: Im Radio läuft „Late Night Jazz" mit Herbie Hancock, der morgen 80 wird. Auf dem Bücherregal neben dem Bett steht ein Foto. Ein Kirchenknabenchor, ich mittendrin, alle mit offenen Mündern. Geht Singen auch mit Mundschutz?

24.00: Ich mache das Licht aus. Es ist Ostern.

12. April 2020
hansbeat.achermann@luzern60plus.ch