Auf nährstoffreichem Humus gewachsen

Von Judith Stamm

Das broschierte Buch ist schön aufgemacht, liegt gut in der Hand, wirkt so robust, dass man es auch im Rucksack mit nehmen könnte. Fast sind es zwei Bücher in einem. Denn unzählige grössere und kleinere, ein- und mehrfarbige Bilder begleiten den Text. Die Bilder sind nicht nur Darstellungen: Gebäude, Stadtansichten, Strassenzüge. Nein, fast auf jedem der Bilder passiert etwas: Um 1513 wird der Bundesbrief von 1332 auf dem Weinmarkt verlesen (S.12), ein eidgenössischer Soldat tritt einen Jesuiten in den Hintern (S.120), der Sport, der Fussball erobert sich seinen Platz (S.180), 1974 wird die A 2 eröffnet (S. 200), 2013 wird das ehemalige Hallenbad  kulturell genutzt (S. 212), um nur einige Beispiele zu nennen. Man könnte das Buch gut zuerst in Musse als Bilderbuch durchsehen und sich dann mit einer gesteigerten Neugier dem Text zuwenden.

Ein Kloster, eine Mühle, eine Brücke
Die Stadtentwicklung seit der Zeit um ungefähr 1200 bis heute hat Beatrice Schumacher in komprimierter, kompakter Form in sechs Kapiteln untergebracht. Während es am Anfang, gleichsam als Leitmotiv, heisst: „Um 1200 gab es ein Kloster, eine Mühle, eine Brücke, eine Kapelle und eine kleine Siedlung", lesen wir gegen den Schluss des Buches: „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts strahlt Luzern als kleine, feine Bildungs- und Kulturstadt weit aus. Das ist nicht selbstverständlich."

Spannend beschreibt die Autorin den Weg der Stadt von der Klostersiedlung zum Marktort und zur Territorialherrin. Sie führt uns durch wirtschaftliche Auf- und Abschwünge der  Stadt, gibt uns Einblicke in die Verflechtungen von politischen und militärischen Laufbahnen, zeigt auf, wie die städtische Elite sich in frühern Jahrhunderten bereicherte und erstarkte, und wie die vergleichsweise rechtlose Landbevölkerung sich gegen ihr Schicksal auflehnte. Unter dem Titel „Patrizisch, urban, katholisch" werden wir in die Zeit der Dominanz der Jesuiten in Luzern, aber auch in die Zeit des Aufbruchs und Durchbruchs des aufklärerischen Denkens versetzt.

Der Aufbruch zur Fremdenstadt
Und wie auf Knopfdruck befinden wir uns im 19. Jahrhundert und erleben den Aufbruch Luzerns zur Fremdenstadt, erleben die Verkehrsrevolution, den Bau der ersten Hotels, den Stapellauf des ersten Damschiffes, den Aufschwung des Tourismus, der die ganze Welt nach Luzern bringt. Wir werden mit dem Wachstum der Stadt konfrontiert, mit den in den Anfängen steckenden Sozialpolitik. Wir erleiden den Ausbruch des ersten Weltkrieges mit. „Das städtische Leben veränderte sich radikal. Das gewohnte soziale und kulturelle Leben kam zum Erliegen. Die Wirtschaft geriet ins Stocken, es wurde nicht mehr investiert, und die Bauwirtschaft – zusammen mit dem Tourismus der wirtschaftliche Motor – kam zum völligen Stillstand" schreibt Beatrice Schumacher über diese Zeit.

Aber die Zeit und die initiativen Kräfte der Stadt standen nicht still. Das Ende des 20., der Anfang des 21. Jahrhunderts ist durch eine für Luzern glückliche Symbiose von Wirtschaft und Kultur geprägt. Als Symbol dafür stehen das KKL und die Zentren der alternativen Kultur. Aber auch der Ausbau der Allmend zu ihrer heutigen Gestalt findet eine überraschende Würdigung.

Bewegt und spannungsreich
In ihrem Vorwort schreibt Beatrice Schumacher: „Eine „kleine" Geschichte zu schreiben, heisst auswählen, weglassen und Akzente setzen.  Ich habe sie dort gesetzt, wo Luzerns Geschichte bewegt und spannungsreich erscheint, wo greifbar und nachvollziehbar wird, wie Luzern mit der Welt verbunden ist, wie sich in der Geschichte der Stadt die Geschichte der Schweiz und Europas spiegelt". Die Autorin hat ihr Ziel meiner Ansicht nach meisterhaft erreicht. Und mir ist am Schluss der Lektüre verbunden mit Dankbarkeit an alle unsere Vorfahren der Gedanke gekommen, dass diese Stadt auf einem unglaublich nährstoffreichen historischen „Humus" wachsen und sich weiter entwickeln kann!

Vernissage am 24, November 2015 um 19.00 Uhr in der Zentral- und Hochschulbibliothek, Sempacherstrasse 10, Luzern.
Anmeldung:
info@ggl-luzern.ch