Dank Flugscham zum Revival der Nachtzüge

Von Cécile Bühlmann

Pablo Casals hiess der Talgo-Nachtzug, mit dem wir früher von Bern nach Barcelona reistenEs war ein kleines schönes Abenteuer: man stieg abends in Bern in den Nachtzug, genehmigte sich noch einen Schlummertrunk und wurde am andern Morgen durch die Sonne geweckt, wenn der Zug dem Mittelmeer entlang der spanischen Grenze entgegenfuhr. Der Kellner servierte das Frühstück in der Kabine und gegen 10 Uhr erreichte der Zug Barcelona. Oder die Reisen mit dem Nachtzug nach Florenz: wenn wir in aller Herrgottsfrühe dort ankamen, war noch keine Bar offen und wir mussten uns die Zeit bis zum ersten Cappuccino mit Brioche noch halb verschlafen auf einer Piazza wartend um die Ohren schlagen. Der Nachtzug nach Sizilien brauchte fast einen Tag und eine Nacht. Wir reisten meistens mit Freunden, hatten Kabinen nebeneinander gebucht und öffneten die Verbindungstüren, installierten mit unseren Koffern einen provisorischen Tisch und vertrieben uns die Zeit mit Jassen. Wenn der Zug in Villa San Giovanni auf die Fähre verladen wurde und über die Strasse von Messina fuhr, gingen wir aufs Deck, um die wunderbare Aussicht zu geniessen. Natürlich ist dieser Blick zurück etwas nostalgisch verklärt und blendet aus, dass der Schlafkomfort in den alten Nachtzügen nicht super war. Aber als Reiseerlebnis insgesamt war es einfach toll.     

Leider wurden die Nachtzüge aus der Schweiz weitgehend abgeschafft, der letzte Talgo fuhr im Dezember 2012 aus der Schweiz nach Spanien. Es rentiere nicht mehr, sagte die SBB, die fliegende Konkurrenz sei billiger und schneller. 

Und dann kamen die Klimajugendlichen! Sie rechnen uns vor, wieviel CO2-Ausstoss ein Flug nach Barcelona oder Palermo verursacht: fast eine halbe Tonne! Sie thematisieren die Konsequenzen des Fliegens fürs Klima und prangern an, dass ihnen damit ihre Zukunft auf diesem Planeten geklaut werde. Wer das wisse und trotzdem noch fliege, solle sich schämen. Ein neues Wort dafür wird kreiert: die Flugscham!   

Unter diesem Druck wird das Zugfahren zur Alternative und die SBB denkt laut über die Wiedereinführung der abgeschafften Nachtzüge nach. Sie macht diesen Paradigma-Wechsel nicht nur wegen dem politischen Druck, sie kann auch rechnen. Wenn die wenigen übriggebliebenen Nachtzüge, die die Österreichische Bahn in der Schweiz betreibt, auf Monate ausgebucht sind, entgeht das der geschäftstüchtigen SBB natürlich nicht

Was die Klimadebatte doch alles möglich macht! Interessanterweise tauchen plötzlich Zeitungsartikel auf, die Vergleiche zwischen Bahn und Flugzeug bringen, die ich vorher noch nie gelesen hatte; zum Beispiel, dass ein Flug nach Berlin oder Amsterdam teurer sein könne als die Reise mit dem Zug. Dabei hiess es doch bisher immer, dass gerade Jugendliche auf den Flieger angewiesen seien, weil sie sich den Zug nicht leisten könnten. Oder ich lese, dass beim Vergleich des Zeitbedarfs der Zug gar nicht so schlecht abschneide, wenn man beim Fliegen die ganze Zeit berechne, die man mit Anreise an den Flughafen, Checking, Kontrollen und Wartezeiten an Flughäfen und Fahrzeit vom Flughafen ins Zentrum der Zielstadt braucheFazit dieser Berichte: für Städtereisen in Europa ist der Zug sowohl preislich als auch punkto Reisedauer und Umweltverträglichkeit top. Der bekannte Slogan «Der Kluge reist im Zuge» trifft also wieder voll und ganz zu. Wo es noch hapert, ist beim Kauf internationaler Tickets im Internet. Als Kundin sollte ich auch Sparangebote aus anderen Ländern sehen und Preise über mehrere Tage vergleichen können. Die SBB verspricht, dass das neue Vertriebssystem nächstes Jahr in Betrieb genommen werden soll. Bei der Wiedereinführung der Nachtzüge direkt aus der Schweiz wird das leider länger dauern, weil das nötige Rollmaterial fehlt. Bis es soweit ist, lohnt sich ein Blick ins Ausland, da gibt es Nachtzüge bis nach Moskau, Palermo, Lissabon, Kopenhagen. Die ganze Palette der Möglichkeiten in Europa finden sich auf dieser Webseite: www.rail.cc/de/nachtzug

Die Klimadebatte hat diese Trendwende eingeleitet. Schön wäre, wenn sich diese nicht nur in steigenden Bahnkunden-, sondern auch in sinkenden Flugpassagier-Zahlen manifestieren würde. Da ist noch viel Luft nach oben!  - 6.8.2019

Zur Person:
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Seit 2006 ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.
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