Mit Fussballkunst gegen Fremdenhass

Von Marco Meier

Wenige Wochen vor der Abstimmung über die SVP-Initiative gegen die Masseneinwanderung bin ich in einer Januarnacht jäh aus dem Schlaf erwacht. Was könnte man breiten- und medienwirksam tun, um eine Annahme dieser fremdenfeindlichen Vorlage zu verhindern? Zwar hatten Umfragen (SRG, Sonntagszeitung) gerade ergeben, Schweizerinnen und Schweizer würden diese Initiative wohl mehrheitlich ablehnen. Auf entsprechende Umfragen war in letzter Zeit aber nur bedingt Verlass. Selbst unter guten Freunden hatte ich mehr und mehr gehört, man erwäge, der Initiative zuzustimmen, allerdings „nur, um ein Zeichen zu setzen", eigentlich sei man dagegen.

Plötzlich dämmerte mir in diesen schlaflosen Minuten, das beste Umfeld, um uns Schweizern vor Augen zu führen, wie sehr wir in unserem Land auf Ausländerinnen und Migranten angewiesen sind, sei doch der Fussball. In unseren Fussballclubs, ob regional, Champions oder Challenge League, stellen Fussballer ausländischer Herkunft oder mit „Migrationshintergrund" seit Jahren mehrheitlich die besten Spieler. Das müsste man uns allen einmal ganz plakativ vor Augen führen. Wir wissen es zwar alle, aber wir sehen es nicht unbedingt als Spiegelung einer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit, die unseren Alltag längst durchdringt. Und nicht nur im Sport.

Was also tun? Wenige Tage zuvor hatte ich zufällig in der NLZ gelesen, am Montag, 27. Januar veranstalte die Swiss Football League (alles wunderbar Neudeutsch) im KKL zum ersten Mal ein grosses Spektakel, eine Award Night(!). Hier sollten erstmals Preise für die Besten der Besten vergeben werden. Als Sponsor stecke die Raiffeisenbank hinter diesem Grossanlass, war weiter zu vernehmen. Das war also der Ort und der Anlass, ein Zeichen für eine offene Schweiz, für unsere humanitäre und soziale Tradition im Zentrum Europas zu setzen, ging mir nächtens durch den Kopf. Und wie könnte das geschehen? Wie ein Film lief es vor meinem geistigen Auge ab. Alle Spieler der Swiss Champions und Challenge League, die Ausländer sind oder Migrationshintergrund haben, spielen am ersten Saison-Wochenende vom 1./2. Februar 2014 mit weiss geschminktem Gesicht. Mit dieser einfachen, aber medienwirksamen Kunst-Performance würden sich sportliche und künstlerische Kreativität zum Manifest einer offenen Schweiz verbinden.

Die Botschaft einer solchen Kunstaktion wäre einmalig. Mit dem weissen Gesicht karikieren die Spieler die „Angst vor dem schwarzen Mann" – dem Fremden. Es wird mit einer spielerischen Geste für alle sichtbar gemacht, wie sehr wir auf Ausländer und Einwanderer angewiesen sind. Fussball steht symbolisch für all die Bereiche in Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialwesen und Kultur unseres Landes, die nur Dank unserer Secondos, Ausländerinnen und Migrantinnen so vital und zuverlässig funktionieren. Dann schlief ich mit dem Gedanken wieder ein, das alles am Morgen noch einmal etwas nüchterner zu überdenken.

Darf man das? Darf man mit einem weiss geschminkten Gesicht auf latent wohl in jedem Menschen ab und zu herumgeisternde rassistische Ängste und Vorurteile reagieren? Diese Aktion käme nicht aus heiterem Himmel. Das Thema war durch eine gerade laufende mediale Diskussion schon präsent. Mehrfach war Politikern und Künstlern Rassismus vorgeworfen worden – Tschäppät, Rocchi, Steinegger oder Giacobbo. Aber Satire ist nur Satire, wenn sie Grenzen ritzt. Satire ist immer eine Gratwanderung. Dass Satire tabuisierte Themen öffentlich unkorrekt ins Gespräch bringt, macht diese Kunst erst aus. Hier sollte auch unsere Aktion ansetzen. Entscheidend würde sein, dachte ich mir beim Morgenkaffee, dass sich die Kunstaktion nicht in den Dienst der Mächtigen stellt. Sie muss die Menschen am Rande im Auge behalten.

Aber warum sollte ausgerechnet der Fussball für eine solche Aktion herhalten? Es ist offensichtlich, dass dieser Breitensport die einmalige Chance bietet, ein Thema wirksam durch alle Bevölkerungsschichten hindurch zur Darstellung zu bringen. Beispielhaft könnte sichtbar gemacht werden, wie sehr wir in unserem schweizerischen Alltag fähig sind, eingewanderte Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Das ist eine grossartige kulturelle Leistung. Nun, Sportverantwortliche und Politiker betonen immer wieder, wie wichtig es sei, Sport nicht für politische Anliegen zu missbrauchen. Das ist eine naive Einstellung, denn gerade der Sport hat in seiner gesellschaftlichen Wirkung immer auch eine politische Seite. Es wäre ehrenvoll, wenn der Fussballverand offiziell gegen Fremdenfeindlichkeit Stellung bezöge.

Ich war überzeugt von der Idee und schrieb eine Projektskizze, schickte sie an die Organisatoren der erwähnten Fussballnacht im KKL. Ich bat um einen 3-minütigen Auftritt, um den versammelten Fussballverantwortlichen und Sportlern die Idee vorzustellen. Leider sei das Programm der ersten SFL Award Night so dicht, dass dafür kein Platz bleibe, hatte man mir beschieden. Schade! Aber vielleicht könnte man die Idee am Wochenende vor der Abstimmung zur Ecopop-Initiative noch einmal lancieren. Mal sehen.

Zur Person

Marco Meier, geboren 1953 in Sursee, ist Publizist und Philosoph. Als Chefredaktor der Kulturzeitschrift „du", als Redaktionsleiter und Moderator der „Sternstunden" beim Schweizer Fernsehen und als Programmleiter des Kulturradios DRS 2 hat er während 30 Jahren umfassende mediale Erfahrungen gesammelt. Marco Meier ist Mitglied des Vorstands der Kunstgesellschaft Luzern und sitzt im Stiftungsrat der Fotostiftung Schweiz. Er ist assoziierter Fellow des Collegium Helveticum der ETH und Uni Zürich und leitet seit Sommer 2012 das Lassalle-Institut in Bad Schönbrunn bei Zug. Marco Meier lebt mit seiner Familie in Luzern.