"Demokratie kennt keinen Schaukelstuhl"

Von Beat Bühlmann

Wie war schon wieder
der Titel des Films
in dem ein Planet
die Erde bedroht?
und die Schauspielerin
die den Jungen beschützte
wie hiess sie doch gleich?

Hast du genügend Sätze
für ein Gespräch
mit jemandem
dessen Namen
dir nicht in den Sinn kommen will?

Wird die Sparlampe
die du im WC einschraubst
Brenndauer 10 000 Stunden
länger halten als du?

Und all die Petitionen
und Initiativen
Für eine sichere
Keine, Nein zu, Stop dem, Schluss mit
und Ausstieg aus -
was gehen dich Zeiten an
die du kaum mehr erleben wirst?

Das ist natürlich kein Auszug aus einem politischen Manifest. Das sind ein paar Zeilen aus dem Gedicht „Alt?“ von Franz Hohler; er hat soeben seinen 70. Geburtstag gefeiert. Ich habe diese Zeilen aus zwei Gründen als Einstieg gewählt: Zum einen hat mich Franz Hohler ein Leben lang begleitet – mit seinen  Beobachtungen, seinem Schalk, seinen Utopien und seiner politischen Widerborstigkeit. Es ist also eine kleine Referenz an einen, der anständig gealtert ist.

Zum anderen hat mir Franz Hohler mit diesem Gedicht das Alltägliche des Alterns vor Augen geführt. Diese kleinen Veränderungen, die wir alle kennen und oft lieber übersehen. Mit 60plus sind wir nicht mehr die ungestümen Partisanen der früheren

Tage, die nichts lieber tun als in endlosen Sitzungen die Welt zu verändern. Das Alter gewährt  uns die Freiheit, das Wichtige und vom nicht so Wichtigen zu trennen, das heisst: das zu tun, was uns wirklich betrifft. Kommen wir also zur Politik. Und was wir damit zu tun haben. Fünf Feststellungen und fünf Fragen dazu.

1. Die Alten gehen am häufigsten an die Urne. Warum sind sie eigentlich im Parlament kaum vertreten?

In der Stadt Luzern machen die über 60 Jahre alten Männer und Frauen über 35 Prozent der Stimmberechtigten aus. Im städtischen Parlament finden sich unter den 48 Grossstadträten jedoch nur drei Männer in dieser Altersgruppe - und ein einziger unter ihnen, der 70-jährige Josef Schärli von der SVP, gehört zur Gruppe der AHV-Rentner. Warum sind keine Frauen und nur wenige Männer der 60plus im Parlament? Haben sie keine Zeit? Nichts mehr zu sagen? Oder werden sie, mehr oder weniger sanft, von der nachstossenden jüngeren Generation aufs Abstellgleis geschoben?  

Auf Bundesebene sieht es nicht besser aus. Bei den letzten Nationalratswahlen von 2011 gehörten die Alten zu den fleissigsten Wählerinnen und Wählern. Rund 60 Prozent der 65- bis 74-Jährigen gingen an die Urne, bei den 75-Jährigen und Älteren waren es sogar 69 Prozent. (Von den 18- bis 24-Jährigen waren es nur halb so viele, nämlich 32 Prozent.) Doch auf den Wahllisten machten die 65plus gerade 4,5 Prozent aller Kandidierenden aus.

Das defizitäre Altersbild, das unsere Gesellschaft lange Zeit prägte und der älteren Generation keinen Kredit gab, wirkt in den Köpfen nach: jung und dynamisch muss eine Partei sein, Falten und Glatzen sind anscheinend nicht zukunftsträchtig. So werden die Alten abgehalftert und in den Ruhestand abgeschoben, wo sie zu schweigen haben – ausser sie sind so unbotmässig wie ein Otto Stich. Gewählt werden die Senioren und Seniorinnen jedenfalls kaum. Im Nationalrat entfallen auf sie nur drei Prozent der Mandate, und von diesen sechs Gewählten war nur einer über 75 Jahre alt. Der Hauptharst stellen die 45- bis 64-Jährigen mit einem Anteil von knapp 70 Prozent. Junge im Parlament sind sexy, Alte eher eigenartig.

Wie kommt das? „Wir haben die Älteren nicht ausreichend in die Mitte der Gesellschaft gestellt, sie nicht in den öffentlichen Raum hinein geholt“, sagt Andreas Kruse, einer der führenden Vertreter der deutschen Altersforschung. „Viele dieser Rentnerinnen und Rentner würden sich durchaus engagieren, wenn sie als mitverantwortliche und handelnde Personen angesprochen würden.“ Ist dieses Abschieben in den Ruhestand sinnvoll? In den nächsten 40 Jahren, so das wahrscheinlichste Szenario, wächst der Anteil der jungen Rentnerinnen und Rentner, also die Gruppe der 65- 79-Jährigen, um 53 Prozent, von knapp einer auf 1,5 Millionen Personen. Sie werden dann etwa 18 Prozent der Bevölkerung ausmachen (heute 12 Prozent). Und der Anteil der 80plus wird sich verdoppeln – auf 10 Prozent.

Eine alternde Gesellschaft, davon bin ich überzeugt, kann es sich gar nicht leisten, diese Bevölkerungsgruppe ins politische Abseits zu drängen. Umgekehrt können sich die Alten nicht länger vor der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung drücken – die AHV-Rente ist kein Freipass fürs politische Nichtstun. Oder wie es der 72-jährige Franz Müntefering, der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende sagte: „Demokratie kennt keinen Schaukelstuhl. Solange der Kopf klar ist, ist man mitverantwortlich.“ 

2. Bei den Alten findet die SP wenig Rückhalt. Wie kommt das? Könnte es sein, dass die Partei allzu einseitig auf die Jugend setzt, weil sie selber nicht altern will?

Wer ins AHV-Altern kommt, muss also nicht abdanken. Oder doch? Es war ausgerechnet eine SP-Parlamentarierin, die vor zwei Jahren im Luzerner Kantonsparlament eine Motion einreichte unter dem Titel: „Mit 70 Jahre ist endgültig Schluss“. Die Regierung habe Gesetze und Verordnungen so anzupassen, „dass ab 70 Jahren kein Einsitz im Kantonsrat mehr möglich ist“, schliesslich, „können wir Jugendliche unter 18 Jahren auch nicht ins Kantonsparlament wählen, obwohl das eigentlich richtig und zeitgemäss wäre“. Wie das? Sind Frauen und Männer nach 70 etwa so mündig – oder unmündig? - wie Jugendliche unter 18 Jahren? Ganz abgesehen davon, dass ein solches Begehren völlig im Widerspruch zur Bundesverfassung steht, die jegliche Diskriminierung nach Alter, Geschlecht oder Behinderung untersagt, wirft ein solcher Vorstoss auch ein seltsames Licht auf die SP-Alterspolitik – oder gibt es die gar nicht?

Die SP gilt - zusammen mit den Gewerkschaften - zu Recht als Hüterin der sozialen Sicherheit im Alter. Sie ist es, die sich immer wieder gegen Abstriche bei der AHV wehrt und mit der „Initiative AHV-plus“ versucht, die materielle Sicherheit der älteren Generation zu verbessern. Umso erstaunlicher ist es dann, dass sie unter den Alten kaum politischen Rückhalt findet. Bei den letzten Nationalratswahlen (2011) wählten die Senioren und Seniorinnen nämlich am häufigsten die SVP: jeder Dritte der über 75-Jährigen gab seine Stimme dieser Partei. Die SP hingegen kam nur auf rund 10 Prozent. Die Altersgruppe der 65plus sei „klar die elektorale Schwachstelle der SP“, konstatierte denn auch das Bundesamt für Statistik. Für die SP kann es nur ein schwacher Trost sein, dass die Grünen und Grünliberalen in dieser Altersgruppe noch weniger – das heisst: eigentlich überhaupt nicht gefragt sind.

Zugegeben: Mit dem Eintritt der Babyboomer ins AHV-Alter dürften sich die politischen Kräftefelder jenseits der 60 zugunsten der Linken verschieben – doch kann es sich die SP leisten, nur auf die demografischen Veränderungen zu hoffen? Müsste die Alterspolitik in einer alternden Gesellschaft nicht etwas kreativer, selbstbewusster sein und das Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe stärker ins Blickfeld rücken? Wenn die heutige Gründung der SP60+ dazu führt, dass die Partei dem Potenzial der älteren Generation mehr Aufmerksamkeit schenkt, kann das sicher nicht schaden.

Denn in den letzten Jahren ist die SP eher damit aufgefallen, wie ältere SP-Frauen und Männer ziemlich unsanft ins zweite Glied gedrängt oder einfach kalt gestellt wurden. „Auf Druck der Jungparteien setzten die Genossen einseitig auf jugendliche, dynamische Kräfte“, konstatierte die NZZ bei den letzten Nationalratswahlen. Und das ging nicht immer auf die feine Art, wie in Zürich zu sehen war. Ich plädiere nicht für Sesselkleber, die sich ein Leben ausserhalb der Politik schon gar nicht mehr vorstellen können. Aber ist der Jugendbonus in jedem Fall die richtige Etikette für eine nachhaltige linke Politik? Und warum soll es nicht möglich sein, erst mit 65 oder 72 Jahren in die Politik einzusteigen?  Und warum haben wir in der Schweiz eigentlich keinen Helmut Schmidt oder Heiner Geissler, die sich auch im höheren Alter noch zu Wort melden – und auch gehört werden?

3. Die Alten sind politisch oft im Ruhestand. Wie müsste die Politik beschaffen sein, damit sie sich mitverantwortlich fühlen?

Wir können es uns als demokratische Gesellschaft schlicht nicht länger leisten, einen Drittel der Stimmberechtigten mehr oder weniger deutlich ins Abseits zu drücken. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht in erster Linie darum, die Rechte und Privilegien der Senioren und Seniorinnen gegenüber den jüngeren Generation und den Familien um jeden Preis zu behaupten. So sehe ich eigentlich nicht recht ein, warum ich in drei, vier Jahren das Ticket für einen FCL-Match vier Franken billiger erhalten soll als die „Normalsterblichen“ (für 24 statt 28 Franken). Und warum alle Senioren Anspruch auf ein um fast 900 Franken günstigeres GA erheben können. Das GA ist für Junge im Studium – ohne AHV-Rente und Pension! - ist übrigens nur unwesentlich günstiger als jenes für die Senioren, nämlich 150 Franken.

Ich plädiere für ein stärkeres politisches Engagement der älteren Generation, weil wir mitverantwortlich sind für diese Gesellschaft. In unserer schnell lebigen Welt, die sich vorwiegend an Konsum, Effizienz und Bonus orientiert und sich wenig um Nachhaltigkeit, Solidarität und Nachbarschaft kümmert, könnte die bedächtigere Generation der 60plus durchaus ein Korrektiv sein. Wer Zeit, Erfahrungswissen und Aufmerksamkeit für andere aufbringt, schafft soziales Kapital und stärkt die Zivilgesellschaft. In der Sorge für die nachwachsenden Generationen zeigt sich auch eine Form des Generativen. Und die kann durchaus radikal sein.

Zum Beispiel in der Bodenpolitik, die heute Privatrendite vor Gemeinwohl stellt (und das Wohnen verteuert). In der Sozial- und Wirtschaftspolitik, die es zulässt, dass es Arbeitseinkommen gibt, die kein anständiges Leben ermöglichen. Oder in der Energie- und Umweltpolitik, die Konsum und Verbrauch höher gewichtet als Nachhaltigkeit. Das muss uns ältere Frauen und Männer auch interessieren – nicht nur im Interesse unserer Enkelkinder. Beispielhaft politisiert die „Grossmütter Revolution“, die vom Migros-Kulturprozent vor drei Jahren in Kiental ausgerufen wurde – dort fand übrigens 1916 im Hotel Bären die Zweite Konferenz der Internationalen  Sozialisten statt (inklusive Lenin). An revolutionären Barrikadenkämpfen werden sich Grossmütter wie Heidi Witzig oder Monika Stocker wohl nicht beteiligen wollen. Aber sie demonstrierten in Zürich auf der Strasse und engagieren sich zum Beispiel für die Erbschaftsinitiative.

Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Grossmütter und Grossväter auch Politik machen. So besetzten letztes Jahr in Berlin rund 20 Rentnerinnen und Rentner während Wochen einen Seniorentreff, den die Behörden schliessen wollten. Die Generation der so genannte Babyboomer, die jetzt ins AHV-Alter kommt oder dort schon angekommen ist – also Sie hier in diesem Saal – weiss, wie man Unterschriften sammelt, Demos organisiert und politische Aktionen startet. Im Kampf gegen Stuttgart 21 waren viele Grauhaarige (und nicht unbedingt Langhaarige) auf dem politischen Kampffeld - wenn auch nicht unbedingt auf den Bäumen, um sie gegen das Fällen zu schützen. Jeder Siebte, der gegen den neuen Bahnhof protestierte, war ein Rentner oder eine Rentnerin. Grau ist durchaus chic. Die Politik, das zivilgesellschaftliche Engagement, hört jedenfalls nicht mit sechzig auf. Was heisst das für die Städte und Gemeinden, und was für die Parteien?

4. Die Alten halten sich beim freiwilligen Engagement zurück. Was braucht es konkret, um ihr Erfahrungswissen stärker einzubeziehen? 

Noch hält sich hier zu Lande das gesellschaftliche und politische Engagement der älteren Generation in Grenzen. Natürlich tragen unzählige Frauen und Männer der Generation 60plus wesentlich dazu bei, dass Angehörige gepflegt, Enkelkinder gehütet, Familien entlastet werden. Doch insgesamt, stagniert die Freiwilligenarbeit im Alter. „Gerade Bevölkerungsgruppen, die im Prinzip über zeitliche Ressourcen verfügen, um sich in Vereinen und Organisationen zu betätigen (wie etwa Rentnerinnen und Rentner), engagieren sich nicht so stark wie erwartet“, heisst es im Freiwilligen-Monitor der Schweiz von 2010. Bei der informellen Freiwilligentätigkeit, also ausserhalb von Vereinen und Organisationen, fiel der Anteil der freiwillig Tätigen ausgerechnet bei den 65- bis 79-Jährigen innert drei Jahren von 40 auf 31 Prozent zurück. Das ist nicht einfach böser Wille oder Desinteresse. Es fehlt auch an attraktiven Angeboten für das zivilgesellschaftliche Engagement.

Mit dem Entwicklungskonzept „Altern in Luzern“ und dem Forum Luzern6oplus versuchen wir das in Luzern zu ändern. Nicht mit einer Verpflichtung zur Freiwilligenarbeit, sondern mit dem stärkeren Einbezug der älteren Generation ins gesellschaftliche, kulturelle und politische Leben der Stadt Luzern. Was tun wir? Zum einen hat die Stadt Luzern den Seniorenrat durch das Forum Luzern60plus abgelöst. Dieses Forum, dem inzwischen rund 60 Frauen und Männer angehören, ist politisch breit gefächert und nicht nach Parteiproporz aufgeteilt. Das Forum kann sich zu stadträtlichen Vorlagen äussern, zum Beispiel zur  Wohn- und Sicherheitspolitik; es lädt Chefbeamte zu Werkstattgesprächen ein, etwa den neuen städtischen Polizeichef, oder es wird in eigenen Arbeitsgruppen aktiv, neuerdings haben wir eine AG Fussgängerlobby und eine AG Wohnen. Dazu gibt es interne und öffentliche Forums-Veranstaltungen, etwa zum neuen Erwachsenenschutzrecht (mit gut 100 Anwesenden). Und vor kurzem stellten sich die drei neuen Stadträte an einem Hearing vor rund 70 Personen den Fragen der 60plus.

Das Forum versteht sich allerdings nicht einfach als Lobbygruppe für eigene Interessen. So ist eine Wohnraumpolitik, die auch mittleren und kleineren Einkommen eine Chance gibt, oder eine Verkehrspolitik, die Fussgängerinnen und Velofahrern mehr Platz gibt, ganz im Sinne dieser neuen Alterspolitik. Auch das Entwicklungskonzept „Altern in Luzern“ versteht sich nicht als reine Interessenvertretung der Alten. Im Gegenteil: Die Ressourcen unserer Generation - vor allem jener Frauen und Männer der 60plus, die gut gestellt sind – sollen ausdrücklich allen Generationen zu gute kommen. Wenn wir erkunden, was ein altersgerechtes Quartier ausmacht, profitieren auch die jüngeren Generationen und die Familien von besseren Lebensverhältnissen. Oder beim Marktplatz 60plus, einem Umschlagplatz für neue Ideen und Projekte, bekommen auch Projekte wie die Lesementoren oder die „Mit-mir“-Patenschaften, also Initiativen für die nicht privilegierte Jugendlichen, eine öffentliche Bühne.  

Alterspolitik, wie wir sie in Luzern verstehen, wird nicht für die Alten, sondern von ihnen gemacht – als Quartierforscher, als Quartierbegeherinnen oder als selbstverantwortliche Organisatoren des neuen Marktplatzes. Dieses Engagement macht durchaus Spass. Jedenfalls bin ich auf der Redaktion nicht immer so motiviert an die Sitzungen gegangen wie jetzt mit den 60plus. Und dass wir uns nach den Arbeitssitzungen zum gemeinsamen Mittagessen treffen schafft viel soziales Kapital. Was heisst das für das Engagement in der Politik, in der Partei? Keine langfädigen Sitzungen, keine Sololäufe von Selbstdarstellern, möglichst wenig Bürokratie, kein Leerlauf, lieber konkrete Vorhaben als wolkige Ideen – und ein anregender Austausch unter (nicht unbedingt) Gleichgesinnten. Das zieht bei der älteren Generation.

Allerdings, die „neue Freiheit“ des Alters darf nicht ein Privileg der gut situierten Mittelschicht bleiben. Es ist eine der grossen Herausforderungen der Alterspolitik, zum Beispiel auch Migrantinnen und Migranten, Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Behinderungen eine neue Perspektive zu eröffnen. Es ist ja eigentlich schon skandalös genug, dass die Lebenserwartung stark von der sozialen Herkunft bestimmt wird. Diese Ungleichheit darf nicht noch grösser werden.

5. Die Alten müssen nichts mehr beweisen. Wie können diese „neue Freiheit“  nutzen, um eine neue Kultur des Alterns zu entwickeln?

Es gibt Gerontologen und Soziologinnen, welche die um sich greifende Aktivierungskampagne mit kritischem Blick begleiten. „Die Abmagerungskur für den Sozialstaat“, so formuliert es etwa die deutsche Soziologin Silke van Dyk, „soll durch ein Fitnesstraining der Zivilgesellschaft kompensiert werden.“ Diese Kritik ist nicht ganz unberechtigt. „Wir brauchen euch!“ heisst zum Beispiel eines der neuen Büchern, die uns ein engagiertes Alter nahe legen. Doch wenn das Alter nur noch als Ressource und nicht mehr als soziale Verpflichtung verstanden wird, könnte das in unserer langlebigen Gesellschaft – zum Beispiel in der Pflege oder in Demenz – zu einem prekären Sozialstaat führen.

Wir laufen heute ohnehin Gefahr, die „fitten Alten“ mit ihren vollen Terminkalendern zum neuen Massstab der künftigen Alterskultur zu erklären. Das wäre völlig verkehrt. In unserer beschleunigten Gesellschaft ist es gewiss nicht nötig, dass die Alten auch noch auf die Tube drücken. Vielleicht brauchen wir ein paar Frauen und Männer in diesem Land, die hie und da innehalten und sich überlegen, warum eigentlich so viele junge Frauen und Männer aus dem Arbeitsmarkt kippen  - oder in anderen Ländern auf dem Arbeitsmarkt schon gar nicht Fuss fassen können. Und warum noch keine taugliche Alternative zur eindimensionalen Wachstumsgesellschaft  in Sichtweite ist.

Das Privileg des Alters ist es, sich nicht einfach im Hamsterrad zu drehen, sondern etwas genauer hinzuschauen und hie und da einen Zwischenruf zu riskieren. Wenn wir eine neue Kultur des Alterns schaffen wollen, müssen wir das auf der öffentlichen Bühne tun. Das heisst: wir müssen uns engagieren und einmischen – ohne die anderen wichtigen Dinge aus den Augen zu lassen.   

Deshalb nochmals Franz Hohler und sein letzter Abschnitt aus dem Gedicht „Alt?“:

Warum aber
trifft dich der Blick deiner
frisch geborenen Enkelin
mitten ins Herz
und lädt dich auf
mit Zuversicht
Zukunft
und Lebenssucht?

Franz Hohler, *1943, im Tages-Anzeiger, 1. März 2013

Beat Bühlmann, 61, ist Projektleiter „Altern in Luzern“ in der Stadt Luzern. Vorher war er  Inlandredaktor beim Zürcher „Tages-Anzeiger“.