Blueme Bürgi – der Mann, der in keine Schublade passt

Ruedi Bürgi ist nicht mehr gut zu Fuss. Unterwegs ist er trotzdem noch immer und gern. Unterwegssein ist eines seiner Markenzeichen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Dabei hat Bürgi schon vor Jahrzehnten in Luzern sein Zuhause gefunden. Hier ist er verwurzelt. Und hier wurde, war und ist er ein Unruhegeist im besten Sinn des Wortes. 

Den «Blueme-Bürgi» kannte man an der Zürichstrasse, im Hochwachtquartier und in wichtigen Luzerner Kultur- und Gesellschaftsvereinen, seit er seinen Blumenladen eröffnet hatte. Es war seine ungekünstelt-herzliche, fröhlich-gebildete Art, die ihm Sympathie quer durch alle Gesellschaftsschichten und –hierarchien  brachte. Man ging nicht ohne ein Blüemli extra aus Bürgis Laden. Das war kein «Kundengeschenk» sondern ein ehrliches «Blüemli vo Härze».

Und plötzlich war der Blueme-Bürgi eine nationale Berühmtheit. In Mäni Webers Wissens-Quiz-Sendung «Wer gwünnt?» räumte der Blumenhändler von der Zürichstrasse in Luzern den Fragen- und Gabentisch mit seiner profunden Kenntnis über den widerborstigen deutschen Dichter Heinrich Heine (1797 – 1856) ab. Im Bürgi, schwante es nun auch im Luzerner Polit-Establishment, steckt mehr, als mancher zu wissen meinte. Und da 1975 auch grad Wahlen anstanden, fanden es die CVP-Strategen schick, ihre Liste für den Grossen Stadtrat mit dem Namen «Rudolf Bürgi» zu schmücken.

Mehrmals mit Bestresultaten gewählt
Das dürften die Parteimenschen nachhaltig bereut haben. Denn Bürgi wurde gewählt. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Und nicht nur als Listenfüller, sondern mit Bestresultaten. Schlimmer noch: Bürgi wurde kein Parteigänger. Er blieb der Blueme-Bürgi und er setzte sich für Bürger-Anliegen ein, die ihm selber wichtig waren, oder die ihm in seinem Blumenladen an der Zürichstrasse zugetragen wurden: öffentliches WC am Löwenplatz; gegen höhere Hundesteuern; Erhaltung des Hirschparks. Bürgi war für die CVP zunehmend ein Ärgernis, denn Parteiparolen und Fraktionsmeinungen hielten ihn nicht vom eigenen Denken ab. Sein kulturpolitisches Husarenstück lieferte er im Theaterstreit mit dem damaligen Intendanten Horst Statkus (1988 bis 1999 Direktor Luzerner Theater). Statkus wollte die Operette aus dem Spielplan streichen – Bürgi sorgte mit einem Vorstoss im Parlament für eine inhaltliche Theaterdebatte in Parlament und Öffentlichkeit. Die Operette blieb. Und Statkus qualifizierte Bürgi als schwachsinnig ab - «schwachsinnig, dabei war ich mit der höchsten Stimmenzahl in der Stadt gewählt worden», erinnert sich Bürgi nicht ohne Stolz.

Nach drei Amtsperioden hatte die CVP genug von Bürgi, ihrem Dissidenten, der auch mal während einer Debatte im Rat seine Meinung ändern konnte. Sie spedierte ihn von der Liste. Der Blueme-Bürgi blieb der Politik dennoch erhalten. Durch seine Wahl in Stadt- und Kantonsparlament hielt er die serbelnden Christlichsozialen (CSP) noch ein paar Jahre am Leben. Doch als Ein-Mann-Partei schaffte es  Bürgi bei seinem letzten Wahlgang 2000 nicht mehr ins Parlament. Seither ist sein einziges öffentliches Amt das des «Gnagivaters», Obmann der Gnagi-Zunft, Schirmherrin der «Stadtoriginale».

Ein ungewöhnlicher Lebensweg
Ein Original ist der Blueme-Bürgi zweifellos. Er ist unverwechselbar. Er sprengt den Rahmen des Gewöhnlichen. Er ist echt. Das hat, vermute ich, mit seinem Lebensweg zu tun. Er sei einer Mesalliance von Fabrikant und Serviererin im damals streng katholischen Wohlen AG entsprungen. Daraus gab es kein Elternhaus, aber eine Pflegefamilie, die mit dem Balg auch nicht wirklich froh wurde. Ruedi muss ein aufsässiges Kind gewesen sein. Weder das Kollegi Disentis noch das in Sarnen noch eine Zürcher Privatschule wurden mit ihm, bzw. er mit ihnen glücklich. Bürgi machte seinen Weg als Gärtner und Blumenhändler. Und als fürsorglicher Familienvater – seine Frau stand ihm im Geschäft bei, er ist rührend besorgt um die behinderte Tochter. Aus seinen wenig erfolgreichen Mittelschulzeiten behielt er die Freude an humanistischer Bildung und Idealen. Wenn der Blueme-Bürgi von seinen Reisen zu den Klassikern in Dresden und Berlin schwärmt, wenn er «seine» Klassiker rezitiert und von seinen aufmüpfigen Interventionen in den städtischen und kantonalen Politik erzählt, blitzen seine Augen. Und man kann verstehen, dass er den aktuellen Mitte-Links-Konsens in der Luzerner Politik etwas langweilig und öde findet.
Hanns Fuchs - 30. November 2013