Schneekanonen und der Klimawandel

Von Cécile Bühlmann

Vor Weihnachten verbrachten mein Partner und ich ein paar Tage in Scuol im schönen Unterengadin. Voller Freude machten wir uns am ersten Tag nach dem Frühstück auf den Weg dem Inn entlang talabwärts Richtung Sur En. Aus früheren Ferien kannten wir diese schöne romantische Wanderroute, die teilweise direkt am Ufer des Inns entlang geht, teilweise etwas erhöht durch den Wald verläuft. Die Freude war aber nur von kurzer Dauer. Plötzlich zerriss Motorenlärm die Stille, ein riesiger Traktor mit Anhänger tauchte vor uns auf. Wir trauten unseren Augen kaum, aber der Anhänger war mit Schnee hoch beladen. Der Traktor entlud seine weisse Last auf die Langlaufloipe, die parallel zum Wanderweg verläuft, und entfernte sich wieder. Kaum war er verschwunden, tauchte ein zweiter, dann ein dritter und im 5-Minutentakt tauchten immer neue Traktoren mit Schnee im Gepäck auf. Wir wunderten uns, woher sie diesen herholten. Als wir etwa auf der Hälfte der Strecke um eine Wegbiegung kamen, sahen wir des Rätsels Lösung: mit einer Schneekanone war ein riesiger künstlicher Schneeberg erzeugt worden. Dieser wurde jetzt mit einem Trax in eine ganze Armada von riesigen Traktoren verfrachtet und von diesen auf der ganzen Wegstrecke talabwärts und talaufwärts herumgekarrt und verteilt. Wir fragten uns, ob die für diesen ökologischen Unsinn Verantwortlichen sich wohl bewusst sind, dass sie den touristischen Ast, auf dem sie sitzen, mit solchen Aktionen selber absägen? Wie kann man nur so kurzfristig denken? Wir wissen nicht, wieviel klimaschädliches Co2 dieses Perfektionieren der Loipe erzeugte, aber dass es penetrant nach Abgasen roch, das haben wir deutlich bemerkt.

Am nächsten Tag fuhren wir mit der Seilbahn nach Motta Naluns auf über 2000 Meter Höhe hinauf. Überall waren Schneekanonen im Einsatz, die Skipisten wurden systematisch mit Kunstschnee perfektioniert. An dieses Bild haben wir uns in den letzten Jahren gewöhnt. Es wird aufgerüstet wie noch nie. Waren in der Schweiz vor zehn Jahren erst 7 Prozent der Pisten künstlich beschneit, sind es heute bereits 36 Prozent. Die grossen Probleme bei der technischen Beschneiung sind der Wasser- und der Energieverbrauch. Um eine Skipiste von einem Kilometer Länge und 40 Metern Breite mit 30 Zentimetern Kunstschnee zu bedecken, braucht es rund acht Millionen Liter Wasser. Dieses wird Bächen, Flüssen, Quellen oder der Trink­wasserversorgung in der wasserarmen Winterzeit entzogen. Weil das nicht genügt, werden immer mehr Speicherseen gebaut, in denen das Wasser im Sommer gesammelt wird. Der Wasserhaushalt in den Alpen ist dadurch empfindlich gestört und vor allem in den Wintermonaten wird Wasser immer knapper. Und mit der Energie, die gebraucht wird, um eine einzige Kanone während zwei Wochen zu betreiben, könnte ein vierköpfiger Haushalt anderthalb Jahre leben.

Es gibt keinen namhaften Protest mehr gegen den überbordenden Einsatz dieser Technik. Die Umweltorganisationen beklagen, dass sie gegen die mächtige Skitourismuslobby praktisch keine Chance haben. Wenn es um die Förderung des Wintertourismus geht, winken Behörden so manches Projekt durch, ohne sich im Geringsten um den Naturschutz zu kümmern. Das ist extrem kurzfristig gedacht, denn mit der Klimaerwärmung wird die Schneearmut auch in immer höheren Lagen zunehmen. Der Wettlauf gegen den Klimawandel ist nicht zu gewinnen. Absurderweise wird er mit dieser Art Wintertourismus noch beschleunigt!

6. Januar 2019

cecile.buehlmann@luzern60plus.ch

Zur Person
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Seit 2006 ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.