Was für Schätze der Gütschwald birgt!

Von Marietherese Schwegler (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Direkt vor der Haustür liegt er für die StadtluzernerInnen, der Gütschwald. Mit dem Gütschbähnli ist der Startpunkt für einen Waldgang bequem zu erreichen. Bei dieser Bergstation haben sich jüngst rund 20 Entdeckungsfreudige im Alter zwischen 7 und 93 Jahren eingefunden, wobei die Generation 60 plus eine starke Mehrheit bildet. Es ist der vorläufig letzte Anlass der Reihe „zäme erläbe. Alt mit Jung auf Entdeckungsreise“, organisiert von der Fachstelle für Altersfragen der Stadt Luzern.

Christian Ley, Forstingenieur und vor sechs Jahren pensionierter Stadtoberförster, führt die Gruppe durch den Gütschwald. Ein paar Meter gehen, dann zeigt der Förster auf den „Spechtbaum“, einen Baumstrunk, offensichtlich abgestorben und arg durchlöchert. Christian Ley erläutert uns seinen Wert: „Die von Spechten gehämmerten Löcher im Stamm sind voller Insekten, ein Nahrungsspeicher für allerlei Viecher.“ Deshalb lassen ihn die Förster stehen. Etwas weiter des Weges erinnert Ley an ein für den Wald markantes Ereignis: „1960 hat ein Gewittersturm rund die Hälfte der Bäume umgefegt. Danach wurden neue Bäume gepflanzt, hauptsächlich Fichten und Buchen, die heute alle gleichaltrig sind.“ Tatsächlich ergibt das ein etwas homogenes Bild. Wäre es uns aufgefallen ohne den Hinweis?

Aber langsam werden wir aufmerksamer, entdecken selber da einen Ahorn, eine Esche, Waldmeister, Storchenschnabel. Die giftige Eibe, die Pferde töten kann, oder die Edelkastanie an der Lichtung hätten wir ohne Leys Fingerzeig wohl nicht entdeckt. Auch den kleinen Steinpilz nicht, den er findet und dem Gruppenjüngsten schenkt.  

Nur die Starken werden gross

Konkurrenz in der Natur ist verbreitet, auch unter verschiedenen Baumarten. Oder zwischen diversen Naturgeschöpfen. Immer wieder sehen wir Jungbäume, die mit Pfählen und Gittern geschützt werden vor den hungrigen Rehen – von denen sich übrigens während der Walderkundung kein einziges hat sehen lassen. Mangels natürlicher Feinde und weil der Gütschwald ein Jagdbanngebiet ist, können sich die Rehe hier ungestört vermehren. Auch gewisse gebietsfremde Pflanzen, sogenannte Neophyten, können Schaden anrichten. Demonstrativ reisst Ley einen jungen Kirschlorbeer aus, der hier unerwünscht ist.

Eine Frau aus der Gruppe fragt nach dem Waldsterben. Es habe nicht stattgefunden, konstatiert Förster Ley. Aber Schwermetalle und Stickstoff in der Luft würden den Wald belasten und seien die Ursache für den sauren Waldboden, auf dem dann schliesslich die Brombeeren allzu dicht wuchern. Dann bleiben wir vor einem locker geschichteten Holzhaufen am Wegrand stehen. Die nicht entasteten Strünke seien bereit zum Häckseln mit einer grossen Maschine, die vor Ort bald ihre laute Arbeit leisten wird. „Aber bis es soweit ist, dienen die Zwischenräume Mardern, Mäusen und andern Tieren als Unterschlupf“, sagt Ley. „Mit den Holzschnitzeln werden dann z.B. Schulhäuser geheizt. So bleibt das CO2 in einem sinnvollen Kreislauf: Von der Luft in den Baum in die Heizung.“

Teich und Tierwelt

Weitermarschiert. Da taucht unerwartet ein Waldteich auf und inspiriert unseren Guide zu weiteren Lektionen. Er zeigt auf die schwarzen Kaulquappen nahe beim Ufer, die von den mitgehenden zwei Buben interessiert begutachtet werden und aus denen innert Wochen oder Monaten Frösche oder Kröten werden. Wir entdecken blaue Libellen, die über den Teich zuckeln, einen Hecht, der sich im trüben Wasser ruhig vorwärts bewegt. Nur die (ausgesetzte) Rotwangen-Schmuckschildkröte, die laut Ley auch hier lebt, zeigt sich nicht. Dafür staunen wir etwas weiter des Weges über ein kunstvoll gemustertes Wurzelgeflecht einer Gruppe von Bäumen, die das Werk sichtlich in Teamarbeit geschaffen haben und selbst ihre Lebenssäfte untereinander austauschen. Kurz vor dem Ziel öffnet Ley eine Borkenkäferfalle am Wegrand. Sie, oder vielmehr ihr Inhalt, fasziniert die Gruppe. „So klein sind die Käfer? Und können so viel Schaden anrichten!“ wundert man sich.

Aber nicht nur über Bäume, Tiere und Kreisläufe in der Umwelt oder über geologische Fakten weiss Ley Bescheid. Zu seinen Interessensgebieten zählt auch die lokale Geschichte. So konnten wir hören, dass um 1820 der Sentiwald, der westliche Teil des Gütschwaldes, vom Stadtstaat an die Ortsbürgergemeinde ging. „Mit dem Ertrag aus der Waldnutzung konnte diese ihre Sozialaufgaben bezahlen.“ Das wäre heute nicht mehr möglich, denn heute kostet die Pflege des Waldes mehr als er an Ertrag abwirft.

Soviel Detailwissen, Erfahrung und spürbare Liebe zu seinem Wald, seine bescheidene Art, wie er damit unser Interesse weckt – von Christian Ley können wir auf dem zweistündigen Waldspaziergang mehr lernen als Kinder in einem Jahr Naturkundeunterricht. Alt-Stadtrat Kurt Bieder, Teilnehmer und Miterfinder dieser Eventreihe „Alt mit Jung auf Entdeckungsreise“, dankt dem Universalgelehrten zum Schluss und gibt sich erleichtert, dass der wenigstens ein einziges Mal nicht Bescheid gewusst habe: Einen Vogelruf konnte er nicht zuordnen … Zur Fotogalerie

30. Juni 2016