"Ohne Lampenfieber geht es nicht"

Veronika Picchetti (72) spielt seit acht Jahren auf der Seniorenbühne – und ist vor jeder Aufführung nervös. Theaterspielen sei jedes Mal ein Abenteuer, sagt sie. Über Zuwachs in der Truppe würde sie sich freuen.

Die Atmosphäre ist leicht hektisch, fast ein wenig fiebrig. "Nicht pressieren, sonst gibts noch einen Unfall", sagt jemand. Acht ältere Frauen und Männer bauen im Mehrzwecksaal des "Kirchfeld" in Horw  Kulissen auf. Sie entrollen Tücher, die sie an Holzständer befestigen. Sie hängen ein Fenster und eine Türe ein, damit die Akteure ein- und austreten können - was wäre ein Laientheater ohne zufallende Türen?

Die Stube des Störmetzgers Alex Kramer, einem schrulligen Pensionär, nimmt Formen an. Da rücken sie ein Büffet zurecht, dort stellen sie den Garderobenständer an den richtigen Platz. Dann verteilen sie die Requisiten: die Tuba, das Guisan-Bild, die Pfannen, das Kochgeschirr. In knapp einer Stunde wird hier Theater gespielt. "Das esch Musig" heisst das Stück, ein Lustspiel in zwei Akten von Hanna Frey,  "so richtig aus dem Leben gegriffen", wie das Programmheft verspricht. "Hier stimmts noch nicht" sagt Veronika Picchetti und rückt die Kulissenfüsse etwas auseinander. Dann muss sie in die Schminke. Die Sitzreihen beginnen sich zu füllen.

Die Souffleuse gehört dazu 

"Theaterspielen ist jedes Mal ein Abenteuer", sagt sie, "und Lampenfieber gehört dazu." Seit acht Jahren macht die 72-jährige Veronika Picchetti bei der Seniorenbühne Luzern mit, diese Saison hat sie bereits über 20 Aufführungen hinter sich. "Ich bin vor jedem Auftritt nervös und habe Angst, druusz'gheie ." Dieses Jahr spielt sie die Theres, die Tochter des störrischen Störmetzgers, der sich mit den Spitex-Frauen anlegt und partout nicht ins Altersheim ziehen will. Sie gibt die Tochter "liebenswert", wie es die Regie vorschreibt, ganz im Gegensatz zur unseligen Schwägerin Selma Kramer, die  "herrschsüchtig" alle herumzukommandieren hat. Alles wie im richtigen Leben.

Es brauche ein wenig Mut, vor die Zuschauer zu treten, sagt Veronika Picchetti. "Doch wenn ich dann auf der Bühne stehe, lebe ich in meiner Rolle." Das Theaterspielen liegt ihr im Blut, der Vater hat früher im Entlebuch beim Volkstheater Regie geführt. Eine besondere Herausforderung ist auch für sie das Auswendiglernen der Texte; die Akteure der Seniorenbühne sind zwischen 60 und gut 80 Jahre alt. "Am Morgen vor den Aufführungen gehe ich meinen Text nochmals durch, so komme ich meistens gut über die Runden", sagt Picchetti. Und für alle Fälle ist immer eine Souffleuse bereit, damit niemand in seinem Text steckenbleibt.

General Guisan bei eBay bestellt
Die Seniorenbühne Luzern, 1979 gegründet, gibt pro Jahr rund 60 Vorstellungen, vorwiegend im Kanton Luzern und meistens in Alters- und Pflegeheimen. Jede Rolle wird doppelt besetzt, damit die Belastung für die einzelnen Darsteller nicht allzu gross wird. Die Stücke werden von der Theaterkommission, in Zusammenarbeit mit der  Regisseurin, ausgewählt. Ein heikles Geschäft. Wenn irgendwie möglich soll nämlich für alle, die spielen wollen, eine Rolle herausspringen. Doch nicht jeder und jede findet auf Anhieb die Traumrolle. Zudem darf das Stück nicht allzu lange dauern; gut eine Stunde, mehr ist dem älteren Publikum nicht zuträglich. Beim aktuellen Stück "Das esch Musig" habe sie rund hundert Einsätze gestrichen, sagt Veronika Picchetti, die auch die Theaterkommission leitet.

Knifflig kann es auch mit dem Bühnenbild werden. Die Requisiten müssen im eigenen Anhänger Platz haben, die Kulissen in den unterschiedlichsten Räumen die nötige Theateratmosphäre schaffen – ob in der Hauskapelle, im Mehrzwecksaal oder auf einer richtigen Bühne. Fürs Bühnenbild zuständig ist Heinrich Bachmann, der früher selber mitgespielt hat. Er versucht der Stube, in jedem Lustspiel die Arena der komödiantischen Verwirrungen, jedes Jahr ein anderes Cachet zu vermitteln. Diesmal musste unbedingt eine Fotografie von General Guisan her – Präsident Hans Rüttimann hat sie über eBay, das grosse Internetauktionshaus, besorgt.

Die Laienbühne lebt vom inneren Feuer der rund 30 Aktivmitglieder. "Theaterspielen hält mich fit", sagt Veronika Picchetti, "und wir können den Betagten eine Freude machen." Wer mitmachen will, muss nicht zwingend Bühnenerfahrung mitbringen. Wesentlich sei die Freude am Spielen und die Bereitschaft, vor oder hinter den Kulissen mitzuarbeiten. Neue Gesichter sind immer gefragt, im Juni beginnen die Proben für das nächste Stück.

Es ist kurz vor 15 Uhr, der Auftritt naht. Draussen im Korridor haben sich Akteure zu einem Chörli zusammengefunden, um nochmals das Schlusslied zu üben. Der erste Versuch tönt etwas kläglich, der Tageschef ist nicht zufrieden und will das repetieren. "Das muss nun klappen", sagt er. Und siehe da, beim zweiten Mal gehts ordentlich. "Toi, toi toi", rufen sie sich zu, klatschen sich gegenseitig in die Hände und verziehen sich hinter die Kulissen. Es kann losgehen.
Beat Bühlmann (Text), Georg Anderhub (Foto). 24. April 2012

Selber mitmachen? Für die nächste Saison werden Theaterspielerinnen und Theaterspieler und gute Geister für die Arbeit hinter der Bühne gesucht. Probenbeginn ist im Juni 2012.
Wer sich interessiert, kann sich bei Präsident Hans Rüttimann, Rain, melden. hans.ruettimann@datazug.ch

www.seniorenbuehne-luzern.ch