"'When I'm Sixty four' hörten wir vor 40 Jahren - und nun bin ich es selber: 64"

„When I get older losing my hair,
Many years from now.
Will you still be sending me a valentine
Birthday greetings bottle of wine.“

                                               Beatles, 1967

 

Toni Bernet-Strahm ist am Aufräumen. In seinem Büro im RomeroHaus an der Kreuzbuchstrasse ist die braune Plastiktonne fürs Altpapier zur Hälfte gefüllt. Seinen Computer hat er bereits geräumt, sämtliche Dokumente und Fotos fanden Platz auf einem kleinen Stick, wie er etwas verdutzt festhält. Ende Februar geht Bernet-Strahm mit 64 Jahren in Pension. „Ich freue mich; das ist ein Einschnitt, den ich so geplant habe.“

Vor gut elf Jahren hat er die Leitung des RomeroHauses Luzern übernommen und dem weltoffenen Bildungszentrum der Bethlehem Mission Immensee seither ein unverwechselbares Profil vermittelt. „Wir haben uns nachhaltig für Gerechtigkeit und Frieden und für die Erhaltung der Lebensgrundlagen engagiert“, bilanziert Bernet-Strahm nicht ohne Stolz. Das fand auch andernorts Anerkennung: 2004 wurde dem RomeroHaus der mit 30 000 Franken dotierte Preis der Stiftung „Luzern – Lebensraum für die Zukunft“ verliehen; die Laudatio hielt Klara Obermüller.  

Loslassen, abgeben

Toni Bernet-Strahm nimmt drei, vier Fotos aus der Sichtmappe und legt sie auf den Tisch. Sie zeigen den früheren Eingang zum RomeroHaus, der ziemlich abweisend wirkt, und den Empfangsschalter, der eher einer klösterlichen Pforte gleicht. Heute empfängt das Bildungshaus seine Gäste – unter ihnen immer wieder renommierte Referentinnen und Referenten - mit einem offenen, transparenten Interieur. Es gibt in der Zentralschweiz kaum einen Ort, wo der kulturelle und politische Austausch so anregend und international ist - und der von Bernet und dem Team einiges abverlangte.

Es sei ein „befreiendes Gefühl“, diese Verantwortung jetzt abgeben und sich vom alltäglichen Kleinkram lösen zu können. „Man wird älter und etwas müde.“ Vor vierzig Jahren, so erinnert er sich, hätten sie, leicht belustigt, den Beatles-Song „When I’m Sixty Four“ gehört – „und nun bin ich es selber: 64.“ Er sei körperlich langsamer geworden, müsse zuweilen schwerer atmen, vergesse Namen und Wörter. Auch das Auswendiglernen sei nicht mehr so einfach wie früher. „Das merke ich, wenn ich mir das Farsi, die persische Sprache, aneignen will.“ Im Frühjahr geht er auf eine Gruppenreise in den Iran – sofern es die politischen Verhältnisse zulassen.

Agenda ade

Das Alter sei für ihn jedoch „keine Beschwernis“, sagt Toni Bernet-Strahm. Er sieht die Pensionierung vielmehr als Privileg. „Ich habe ein garantiertes Grundeinkommen und kann tun, was mir Freude macht.“ Endlich die dicken Wälzer lesen, für deren Lektüre er bis jetzt keine Zeit fand (etwa das 1200 Seiten starke Buch „Dein Name“ des iranischen Religionswissenschafters Navid Kermani). Oder in aller Ruhe sämtliche Streichquartette von Haydn hören. Überhaupt sich die Zeit nehmen für Musik, um in neue Klangwelten einzutauchen. „Musik eröffnet mir neue Räume, da kann ich mich völlig vergessen.“ Vielleicht wird er auch die Geige, die er vor 30 Jahren zur Seite legte, wieder hervornehmen – „um ein wenig zu fiedeln“, wie Bernet sagt.

Also keine Angst vor der grossen Leere? Vielleicht verliere er an „sozialer Relevanz“, sagt Bernet-Strahm, doch die Pensionierung biete vor allem die Freiheit, Neues anzufangen. Ganz ohne Termine – das Lucerne Festival, das Filmfestival Locarno – wird es nicht gehen. Von der Agenda hat er sich allerdings verabschiedet, seine Daten will er ab März auf seinem neuen iPad elektronisch registrieren. Fürs erste Jahr nach der Erwerbsarbeit will er ohnehin keine neuen Verpflichtungen eingehen, sondern „einfach schauen, was auf mich zukommt“.

Immerhin, eine sanfte Tagesstruktur hat er sich bereits ausgedacht: Er will die Woche in Arbeitstage und Freitage aufteilen: Arbeitstage, an denen er mit seiner Frau zeitig aufstehen, den Haushalt besorgen und allenfalls Artikel schreiben oder anderweitige Aufgaben erfüllen will. Freitage, an denen nichts getan, aber alles Mögliche denkbar sein muss. Apropos Haushaltarbeit: Die Tochter hat ihm ein Kochbuch geschenkt, er selber hat die Anschaffung einer Abwaschmaschine durchgesetzt.

Toni Bernet-Strahm, der einst Priester werden wollte, hat fünf Jahre in Rom an der päpstlichen Universität studiert und sich dort mit dem nachmaligen Papst Benedikt XVI, bürgerlich Joseph Aloisius Ratzinger, angelegt. Auf eine unbotmässig Frage betreffend Eucharistie antwortete Ratzinger damals: „Sie haben von meiner Vorlesung nichts verstanden“ - und ging davon. Das Unbotmässige innerhalb der Kirche hat sich Toni Bernet-Strahm, der später beim Fastenopfer während 20 Jahren für die Bildungsarbeit zuständig war, bis heute erhalten. Und er wird sie sich das auch als AHV-Rentner nicht nehmen lassen. „Auch wer pensioniert ist, muss Verantwortung wahrnehmen – sei es in der Kirche und sonstwo in der Gesellschaft.“ 

Beat Bühlmann                                                 23. Februar 2012 www.romerohaus.ch