Zum x-ten Mal: Bundesratswahl!

von Judith Stamm

Neben Präsident Trump und der „Altersvorsorge 2020“ steht die Wahl eines neuen Bundesrates, einer neuen Bundesrätin, im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Zum Thema Bundesratswahl können wir alle, ja wirklich alle, etwas beitragen. Und wir müssen keinerlei Verantwortung übernehmen. Denn Wahlorgan ist das Parlament. Versuche, das zu ändern, gab es 1900, 1942 und 2013. Mit überwältigendem Volksmehr von 76,3% und 0 Standestimmen wies das Stimmvolk diese Zumutung, die Mitglieder der Landesregierung selbst zu bestimmen, 2013 weit von sich!

Je nach Konstellation drängen sich immer wieder andere Kriterien in den Vordergrund. Auch schon wurden anlässlich einer Wahl die Zeitungsseiten gefüllt mit Artikeln über die „Konkordanz“. Sie soll gewährleisten, dass alle „relevanten Kräfte in der Bevölkerung“ auch in der Regierung vertreten sind. Engagiert ging es um die Unterschiede zwischen „arithmetischer“ und „inhaltlicher“ Konkordanz.

Aktuell sind es eher Quotenfragen, die eine Rolle spielen. Quoten dienen ja dazu, auch Minderheiten Vertretungen in Gremien zu ermöglichen. Die Schweizerinnen und Schweizer sind ein Volk, das aus lauter Minderheiten besteht. Deshalb sind unsere Gremien landauf, landab meist nach Quoten zusammengesetzt. Wir merken es kaum und denken selten darüber nach. Tun aber unser Möglichstes, die Linken, die Rechten, die aus der Mitte, die Parteien, die Sprachgruppen, die Interessengruppen, die Kulturschaffenden, die Wirtschaftsvertreter, die Sozialpartner, die Experten und eben auch noch die Frauen zu berücksichtigen!  Die Frauen sind zwar keine Minderheit. Aber sie wurden im Laufe ihrer Beteiligung in der Politik häufig als Minderheit behandelt. «Ihr habt ja jetzt eine Frau in der Regierung, im Gericht, in der Kommission», hiess es jeweils. Und die Frauen liessen sich lange Zeit als Minderheit behandeln. Brachen in Begeisterungsstürme über jede erste Frau aus, die es geschafft hatte. Heute verlangen die Frauen, die gut die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, auch die Hälfte an Macht und Verantwortung. Scheint logisch!

Übrigens: auch wer aufgrund einer Quote vorgeschlagen wird, wird zuerst darauf abgeklopft, ob die Eignung für eine angestrebte Position vorhanden ist. Das ist Brauch in unserem politischen Leben.

Eine interessante Situation zeichnet sich aktuell ab. Der frei werdende Sitz „gehört“ der FdP. Sie hat an ihrer Fraktionssitzung über das Wahlticket entschieden. Dass ein frei werdender Sitz einer Partei «gehört» steht zwar nirgends geschrieben, ist aber so. Und wird von der Bundesversammlung im Allgemeinen respektiert. Gelegentlich gibt es eine Ausnahme!

Auf dem Vorschlag, der als «Auswahl» an die Bundesversammlung geht, stehen drei Kandidierende. Beim ersten heisst es, endlich müsse wieder ein Tessiner her. «Wir haben einen geeigneten Tessiner» lautet die Botschaft. Diese Situation ist relativ einfach. Nach langem Überlegen meldete sich auch eine Frau. Da wird es schon komplizierter. Denn der «Frauenbonus» sollte eher nicht ausgespielt werden. Oder umgekehrt gesagt, es sollte als selbstverständlich gelten, dass sich auch Frauen zur Verfügung stellen können. Nur wird hier der «Frauenbonus» durch den «Mamibonus» ersetzt. Eine Mutter bringe andere Erfahrungen in das Regierungsgremium ein, heisst es. Andere Erfahrungen als wer? Andere als ein Vater? Oder andere als ein kinderloser Bundesrat, eine kinderlose Bundesrätin? Gibt es eigentlich wissenschaftliche Studien, die erhärten, dass Regierungsmitglieder, die Eltern sind, anders für das Land entscheiden als Regierungsmitglieder ohne Kinder? Ohne wissenschaftliche Studien geht ja heute gar nichts mehr! Bleibt noch die dritte Kandidatur. Und siehe da, hier wird vor allem die Eignung in den Vordergrund gestellt: Regierungserfahrung ist vorhanden, auf der Stufe eines Kantons! Auch das Alter spielt eine Rolle. Ja, da gab es doch einmal eine Zeit mit einem bestimmten Vorsatz. Nie mehr wolle das Parlament eine Persönlichkeit, die älter als fünfzig Jahre alt sei, in den Bundesrat hieven. Das hatte mit den krankheitsbedingten Rücktritten der Bundesräte Rudolf Friedrich und Alphons Egli zu tun. Ist schon lange her. Der Vorsatz wurde nicht eingehalten!

Zum Schluss melde ich noch einen speziellen Wunsch an. Wer immer das frei werdende Departement des Innern antreten wird: möge es kein «Nestflüchter» sein. Ich respektiere das Bedürfnis der einzelnen Mitglieder der Landesregierung nach Veränderung. Aber in unserer schnelllebigen Welt besteht auch ein drängendes Bedürfnis der Regierten nach Konstanz!

Doch in die Departementsverteilung mischen wir, das Volk, uns nicht auch noch ein. Davor bewahre uns der Himmel!
4. September 2017

Zur Person

Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 – 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 – 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 – 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 – 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.