Nicht nur beim Zusammenzählen der Jasspunkte: Das Theaterspiel fordert von den Greyhounds hohe Konzentration – auch bei den Proben.

Vatersuche in Uri und Kalabrien

Nach dem Stück „Vom Verschwinden" spielt die Theatergruppe Greyhounds im VorAlpentheater ab 4. März „Kalabrien", wiederum nach einer Vorlage von Erwin Koch und wiederum in der Regie von Reto Ambauen. Wir besuchten eine der letzten Proben vor der Premiere.

Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)


Ein Kühlschrank, ein hölzernes Küchenbüffet, zwei Ausziehtische, ein Suppentopf, ein knappes Dutzend Stühle, ein Stapel Teller, zwischen all dem Mobiliar acht Frauen, die noch an ihren Schürzen, Blusen und Kasacks herumzupfen, drei Männer mit Hosenträgern, die noch in den Textbüchern lesen. Dann ruft Regisseur Reto Ambauen zum Probenbeginn. Es ist Freitagmorgen kurz nach zehn Uhr. Noch fünf Tage bis zur Premiere.

„Kalabrien" heisst das Stück, das die Theatergruppe Greyhounds dieses Jahr zur Aufführung bringt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler, alles Laien über 60, stellen sich im Kreis auf, schütteln die Arme, entspannen sich, schliessen die Augen, machen Stimmübungen zu Christov Rollas Tastentönen. Reto Ambauen gibt nochmals ein paar Tipps: „Denkt daran: Jeder Satz ist eine neue Geschichte" und „Bleibt immer im Kontakt mit dem Ganzen" und „Lose, lose, lose, das ist das Geheimnis." Dann beginnt der Durchlauf des Stücks, das der Regisseur nach einer Erzählung von Erwin Koch dramatisiert hat. Seit Mitte Oktober wird geprobt, anfangs einmal wöchentlich, jetzt, kurz vor der Premiere, fast täglich und über mehrere Stunden.

Hohe Flexibilität verlangt
Die Geschichte beginnt am 3. November 2004 und geht zurück bis in die fünfziger Jahre. Schauplatz ist ein Ort im Kanton Uri. Die Hauptperson Francesca Dittli feiert den 52. Geburtstag, sie steht am Totenbett ihres Vaters Karl, den sie sehr geliebt und verehrt hat. Es geht um Erinnerungen und darum, wie wahr sie sind, es geht auch um ein Familiengeheimnis und um das Schweigen der Männer, es geht um die Aufrechterhaltung des Scheins und die Brüchigkeit der Familienbande. Denn Francesca zweifelt zunehmend, ob ihr Vater wirklich ihr Vater war, denn sie sah schon als Kind so anders aus, anders auch als ihre Geschwister, eher so wie eine Italienerin. Da war doch einer im Dorf damals, der im Steinbruch gearbeitet hat und jetzt wieder in Kalabrien oder in Apulien lebt. Um diese Francesca und die Vaterfrage dreht sich das meiste in diesem Stück, das von den Darstellenden sehr viel abverlangt. Denn es gibt nicht die Francesca, sondern alle sind Francesca und auch die andern Figuren werden nicht nur von einer Person dargestellt.

„Ich verlange von allen eine hohe Flexibilität", sagt der Regisseur, und das war auch die grösste Herausforderung für die Greyhounds. Doch über die lange Probenzeit hat sich ein spürbares Vertrauen entwickelt, denn auch die Schauspielerinnen und Schauspieler haben mitgedacht bei der Entwicklung der Figuren, haben eigene Ideen umgesetzt. Jetzt aber, kurz vor der Premiere, hat Reto klar „das Sagen". Noch gibt es viele Unterbrüche und Korrekturen: Da muss eine Figur noch etwas bestimmter auftreten, dort gehen die Blicke noch in die falsche Richtung oder kommt ein Abgang zu früh. Auch die Textsicherheit ist noch nicht ganz auf Premierenniveau. Regieassistentin und dramaturgische Mitarbeiterin Elsbet Saurer hilft jetzt noch bei einem Blackout weiter. Der Text und die vielen Rollenwechsel verlangen von den Spielerinnen und Spielern sehr hohe Konzentration. Reto beruhigt: „Es geht schliesslich immer noch fünf Tage."

In Muetters Stübeli spielt Louis Armstrong
Es ist eine beeindruckende und lehrreiche Sehschule, der Theaterprobe beizuwohnen: Tausend Abläufe und Bewegungen sind es, die zu einem Ganzen gefügt werden müssen, Details, von denen der Spielfluss abhängt. Plötzlich quietscht ein Ausziehtisch. Der Regisseur verlässt den Regietisch, wendet den Tisch eigenhändig. Das Spiel geht weiter. Die Truppe formiert sich zum Chörli, intoniert „Is Muetters Stübeli, do gohd de Mmh, Mmh, Mmh, is Muetters Stübeli do gohd de Wind." Aber nicht nur der Wind ertönt in Mutters Stube, auch Louis Armstrongs „What a Wonderful Day" und ein Jodellied und das „Gegrüsst seist du, Maria". Fünfziger Jahre Klänge eben, die auch bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern Erinnerungen auslösen dürften, genauso wie viele Geschichten, die in diesen dichten Text eingewoben sind.

Es geht gegen das Schlussbild zu, fast zweieinhalb Stunden Theaterarbeit haben Hunger, Durst und müde gemacht. „Villeicht isch es ganz andersch gsi", heisst es am Schluss von „Kalabrien". Denn zu den Erinnerungen sind neue Erfahrungen und Begegnungen gekommen – nicht nur im Stück, sondern auch für die Greyhounds. In einer Stunde geht es weiter mit der Probe, alles nochmals von vorn. Der Lohn folgt dann am Mittwoch, wenn der wohlverdiente Premierenapplaus ertönt.

28. Februar 2020
hansbeat.achermann@luzern60plus.ch

Die Premiere von „Kalabrien" findet am Mittwoch, 4. März, 20.00 Uhr im Theater Pavillon statt. Weitere Vorstellungen bis am 15. März. Nach den Matineevorstellungen vom 8. und 15. März finden Diskussionsrunden statt, u. a. mit Philomena Colatrella, CEO der CSS Versicherung. Details und Tickets unter www.voralpentheater.ch.

Die Greyhounds sind offen für weitere Mitspielerinnen und Mitspieler. Geplant ist ein weiteres Stück von Erwin Koch.