Verordnete Freundlichkeit

Nun sollen wir also feiern: 200 Jahre Tourismus und damit unseren Weg vom Hirtenvolk zum Hotelier, vom engen Saumpfad zur offenen Seerose, dieser drei Millionen teuren Plattform. Wir sollen uns also öffnen – gegenüber dem Tourismus generell und gegenüber den Touristen speziell.

Ersteres haben wir bereits erfüllt: Als im Jahr 2000 Kurt H. Illi als „Mister Tourismus“ erstmals die 1-Millionen-Grenze bei den Logiernächten in der Stadt Luzern überschritt, regte sich noch Widerstand gegen die Massen aus Asien, welche nicht mit dem Boot, sondern im klimatisierten Bus anreisten. Sogar der Stadtrat sah sich damals genötigt, die Wogen zu glätten. Er stellte ein für alle Mal klar, dass „Luzern keine Schranken hochziehen“ will und es keine „ bevölkerungsverträgliche Obergrenze“ gibt.

Heute zählt man in der Stadt Luzern 1,2 Mio. Übernachtungen und die „erträgliche Obergrenze“ ist den touristischen Erträgen gewichen. Gegen ein jährliches Umsatzvolumen von 1,5 Milliarden, welches der Tourismus generiert, ist schwer zu argumentieren. Einzig auf dem Schwanenplatz, der schon zu Illis Zeiten von fremden Nationen ganz unfriendly-takeover okkupiert wurde, kommt es ab und zu noch zu Scharmützeln zwischen verdrängten Einheimischen und verdrängenden Chinesen.

Wohl auch deshalb sind wir im Jubeljahr besonders dazu aufgefordert, freundlich, hilfsbereit und nett zu sein zu unseren Gästen. Und damit einen Beitrag zu leisten, dass das „Gästival“, dieser einzigartige kreative Einfall, nicht zum Reinfall wird.

Allerdings behaupte ich: Luzernerinnen und Luzerner sind nach 200 Jahren Tourismus längst zu freundlichen Gästebetreuern mutiert. Und genauso hilfsbereit wie die Stanserhorn-Ranger, die den Gästen beispielsweise zeigen, wo der Adler seine Kreise fliegt und die schönsten Blumen wachsen. Da können wir zwar nicht ganz mithalten, weil in der Stadt die freie Natur eher selten oder nur hinter Vitrinen im Naturmuseum zu beobachten ist. Zum Glück haben wir noch unsere Tauben und die Blumenrabatten der Stadtgärtnerei, die durchaus auch ihre touristischen Reize haben.

Es sind deshalb nicht wir, welche manchmal unfreundlich sind, sondern die vielen Ausflugstouristen aus der Schweiz, die jährlich nach Luzern kommen. Zum Beispiel aus Dörfern wie Gommiswald, Signau, Mümliswil-Rämiswil oder Guggisberg, welche abseits der Touristenströme liegen und wenig Erfahrung im Umgang mit Gästen haben. Es mag deshalb verständlich sein, dass sie im Kampf um die sonnigsten Sitzplätze auf dem Dampfschiff, die beste Position beim Bachmann-Kiosk am Quai oder um den letzten freien Platz an der Reuss nicht immer nett sind zu den ausländischen Gästen. Was wiederum, und auch zu Recht, unsere Chinesen und Inder irritiert und unser Image nachhaltig negativ prägt. Zumal der Gast aus fernen Ländern kaum unterscheiden kann, ob es sich nun um einen gastfreundlichen Luzerner oder um einen mürrischen Familienvater aus Hellikon handelt. Denn: Ein Volk, ein Verhalten, ein Image. Das ginge uns ja auch nicht anders, beispielsweise in Sri Lanka. Wie sollen wir wissen, wer von Kalmunai, Vavuniya oder Anuradhapura kommt? Für uns sehen ja schon all die tamilischen Hilfskräfte in unseren Hotelküchen gleich aus.

Es ist deshalb an der Zeit, die Schweizer Ausflügler über den richtigen Umgang mit unseren Gästen aufzuklären. Freundlich, aber bestimmt. Zu Hause in ihren Dörfern können sie dann wieder unnett sein. Zum Beispiel zu jenen Fremden, welche in Massen einwandern. Die Gommiswalder, Signauer, Mümliswil-Rämiswiler, Guggisberger und Hellikoner haben die entsprechende Initiative deshalb deutlich angenommen. Im Gegensatz zur Stadt Luzern, welche dieses Volksbegehren ablehnte. Genützt hat es zwar nichts. Aber es zeigt immerhin, dass wir es nach 200 Jahren Massentourismus gewohnt sind, damit zu leben.
17. Mai 2015

Zur Person
Rudolf Wyss, geboren 1955 in Sarnen, ist Journalist und PR-Berater. Er arbeitete als Medienschaffender unter anderem bei Radio Pilatus als Newschef, bei den LNN als Ressortleiter und war bei TeleTell Realisator und Moderator des Reporttalks „Regiotalk“ sowie Chefredaktor. 2000 gründete er eine eigene Agentur, welche Firmen und Behörden in den Bereichen Medien, Marketing und Kommunikation berät und entsprechende Kampagnen konzipiert und realisiert. Rudolf Wyss lebt mit seiner Lebenspartnerin in Meggen.