Warten kann manchmal ganz schön anstrengend sein

Lassen Sie mich das erklären. Ich bin im Schuss, wir sollten in zehn Minuten los, ins Verkehrshaus, vielleicht ins Schwimmbad. Oder auf einen Spielplatz. Auf jeden Fall sollten wir gehen, sonst ist der Morgen schon gelaufen, die Kinder wieder hungrig, Zeit fürs Mittagessen. Nun nur noch Zähne putzen und anziehen. „Komm bitte, wir putzen die Zähne“, sag ich zur Älteren. Keine Antwort. „Bitte komm, Zähneputzen.“ Keine Antwort. Gut. Versuch beim Jüngeren. „Komm, hier ist die Zahnbürste, wir putzen Zähne.“ „Neeeiiiin!“. „Doch!“ „Neeeeeiiiiiinnnn!“

Die zehn Minuten sind um.

Runde zwei beginnt. „Komm, die Zahnbürste wartet.“ „Ja, grad.“ Immerhin, eine Antwort. „Nicht grad, jetzt!“ „Ja, grad.“ Netter Versuch, würd ich sagen. Dabei bleibts. Dann hol ich mir eben den Kleineren. Der steigt freudig ein, weil er denkt, dass wir nun Fangis spielen.

Weitere zehn Minuten sind verstrichen.

Runde drei. „Zähneputzen!“ „Jaaaaa!“ Warten. Gut, dann den Kleineren fangen. Geschrei, Gezerre, Gestrampel, aber immerhin glänzen die Zähne nach zwei Minuten. „So, komm jetzt!“, ruf ich energisch. „Grad, warte kurz“, tönt es zurück.

Ich könnte mich nun entspannen, in Ruhe warten, auf 10, 20 oder vielleicht auch 50 zählen. Sie ihr Spiel fertig spielen lassen, die Kleber einkleben, noch die letzten zwei Seiten des Buches ansehen. Doch die Warterei regt mich auf. Es wird laut. Die genaue Wortwahl braucht an dieser Stelle nicht wiedergegeben zu werden. Sicher ein Thema sind Zeitmangel, Arbeitsbelastung, Studium. Was einen halt so beschäftigt im Leben. Und dass wir nun, bitteschön, endlich, endlich die Zähne putzen sollten.

Eine schlappe halbe Stunde für 40 saubere Milchzähne. Das ist ein, nein, sogar mehr als ein Zahn pro Minute. Unter diesem Blickwinkel vielleicht gar nicht so schlecht.

So, nun nur noch Schuhe und Jacken und Kappen und Handschuhe anziehen, und dann nichts wie los.

Das Telefon klingelt. Marktforschung, die Dame will wissen, was ich vom Velonetz in Luzern halte. Da hab ich was zu sagen, schliesslich fahre ich fast jeden Tag mit den Kindern im Veloanhänger durch die Stadt und bange zu Stosszeigen um Leib und Leben. Das ist zwar etwas übertrieben, aber manchmal kanns einem schon anders werden, wenn links und rechts des Velostreifens Busse und Lastwagen vorbeifahren und Autos spontan und rassig die Spur wechseln. Oder beim Bahnhof einen Meter vor meinem Rad noch schnell rechts auf die Kurzzeitparkplätze abbiegen. Oder mir Busse den Weg abschneiden, damit ich nachher ihre Vorfahrt nicht blockiere.

Gut. Ich habe also etwas zu sagen. Die beiden Kinder stehen in den warmen Jacken in der geheizten Wohnung, die Mützen tief in die Stirn gezogen. „Wartet kurz, ich komme grad!“, ruf ich. Und beantworte gewissenhaft die Fragen.

Dauert ja nur 10 Minuten.

„Kommst Du?“, fragt die Ältere schliesslich. „Ja, warte kurz, ich muss nur noch aufs Klo, eine wärmere Jacke holen und meine Handschuhe suchen.“

Ist doch keine Sache, kurz zu warten. Ich komme ja grad.

Karin Winistörfer - 26. November 2013