"Wir haben es satt, als Last für die Gesellschaft bezeichnet zu werden"

Die Fragen stellte Beat Bühlmann

Warum gehen die Grossmütter auf die Strasse?
Monika Fischer:
Wir stehen ein für ein gutes Leben im Alter und wehren uns gegen die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Auch haben wir es satt, als Kostenverursacherinnen und Last für die Gesellschaft bezeichnet zu werden. Die Hochaltrigkeit ist eine Errungenschaft unserer Zivilisation, die mit einer gesellschaftlichen Verantwortung verbunden ist. Das Alter ist wohl teuer. Das Alter ist aber auch wertvoll und darf in der reichen Schweiz etwas kosten. Zudem bringen wir Alten insgesamt wahrscheinlich mehr als wir kosten. Wir bezahlen Steuern, engagieren uns in verschiedenen Bereichen zum Wohl der Öffentlichkeit und betreuen Enkelkinder und pflegebedürftige Angehörige. Wir erbringen unentgeltlich Dienstleistungen im Wert von Milliarden von Franken.

Zuwendung statt Bürokratie -  ist die Lebensqualität im Alter gefährdet?
In unserem immer schnelleren und zunehmend getakteten Leben ist die Lebensqualität im hohen Alter insbesondere bei Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit gefährdet. Es braucht Zuwendung und Zeit, um auf die Bedürfnisse der alten Menschen einzugehen. Auch viele Mitarbeitende in der Pflege und Betreuung leiden darunter, wenn sie fast mehr Zeit für den Computer als für die ihnen anvertrauten Menschen verbringen müssen. Zeit ist Geld. Dieses Geld, auch für gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden in der Langzeitpflege, müssen wir in der reichen Schweiz aufbringen.

Was macht denn ein gutes Leben im Alter aus?
Diese Frage würde wohl jeder Mensch wieder anders beantworten. Bei Diskussionen in den Arbeitsgruppen der GrossmütterRevolution waren wir uns weitgehend einig: Ein gutes Alter bedeutet, dass ein Mensch unabhängig von seinem Gesundheitszustand möglichst selbstbestimmt leben kann und seine Integrität gewahrt bleibt. Es ist eine Aufgabe von Gesellschaft und Politik, die entsprechenden Rahmenbedingungen bereitzustellen. Jeder einzelne Mensch ist aber auch herausgefordert, mit den Einschränkungen des Alters fertig zu werden und einen Sinn in dieser Lebensphase zu sehen.

Ist denn die Generationen-Solidarität in Frage gestellt?
Aus meiner Sicht überhaupt nicht, wenn die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie dies aktuell geschieht. Entscheidend ist, dass wir miteinander im Gespräch sind, unsere Bedürfnisse und Erwartungen offen formulieren, uns gegenseitig respektieren und füreinander Verständnis zeigen. Wir sind doch zeitlebens aufeinander angewiesen! Was würde die junge Generation machen, wenn die Grosseltern-Generation sich von der Betreuung der Enkelkinder zurückziehen würde? Und was würden wir Alte ohne die Hilfe der Jungen zum Beispiel bei den digitalen Medien oder die Unterstützung im Alltag machen? Doch ist es wichtig, zu dieser Solidarität auch künftig Sorge zu tragen.

Wie stehst du zur AHV-Reform - geht die zu Lasten der Jungen?
Ich stehe klar für ein Ja ein, obwohl ich die Reform nicht in allen Punkten gut finde. Alles in allem ist es ein Kompromiss mit einer ausgewogenen Lösung. Die Reform geht meiner Ansicht nach auch nicht zu Lasten der Jungen, da die Finanzierung bis 2030 durch die jährliche Milliarde, die der AHV zufliesst, gesichert ist. Was wissen wir, wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird? Ich vertraue darauf, dass bis dann neue Lösungen gefunden werden.

Warum machst du bei der Grossmütter-Revolution mit?
Ich bin seit fünf Jahren dabei und geniesse das Zusammensein mit so vielen aktiven und lebenslustigen Frauen. Mit Frauen im gleichen Lebensabschnitt mit ganz unterschiedlichen Biografien, aber ähnlichen Erfahrungen. Mit Frauen, die viel geleistet haben im Leben, nach wie vor neugierig sind und sich auch weiterhin in die Gesellschaft einbringen und etwas bewegen möchten. Eine starke Motivation zum Mitmachen war für mich die Beschäftigung mit der Care-Thematik, die mich durch mein ganzes Leben begleitet.

Was will die Grossmütter-Revolution?
Die GrossmütterRevolution, ein Projekt von Migros-Kulturprozent, bietet eine Plattform und ist ein Think Tank für die Frauen der heutigen Grossmütter-Generation und für deren gesellschaftliches und politisches Engagement. Die Frauen der neuen Grossmütter Generation leisten einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Generationenbeziehungen im Wandel der Gesellschaft und damit zur Lebensqualität und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Grossmütter-Revolution findet am Samstag, 2. September 2017, von 14 bis 16 Uhr auf dem Waisenhausplatz Bern statt.
Der Flyer

Monika Fischer, 1944, in zweiter Ehe verheiratet mit dem Hausarzt Urs Abt, wohnhaft in Kriens/Luzern. Die Care-resp. Sorgethematik zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben: Mutter von fünf Kindern und Grossmutter von neun Enkelkindern, Lehrerin, Journalistin/Autorin, ehemalige Präsidentin einer Spitex-Organisation und der kantonalen Alterskommission sowie Verantwortliche für die Parasolka-Projekte für Menschen mit einer Behinderung in der Ukraine.