Susanne Imfeld, Vicepräsidentin der Vereinigung zur Begleitung von Schwerkranken. In früheren Jahren hat sie die Palliative-Abteilung im Alterszentrum Eichhof aufgebaut und geleitet.

Die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden ist eine Herausforderung

Der Luzerner Vereinigung zur Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden macht ein Generationenwechsel unter den Mitgliedern zu schaffen. Die Zahl der Einsätze nimmt nicht zu, doch der Altersdurchschnitt der freiwillig Begleitenden beschränkt zunehmend ihre Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Die Vereinigung braucht mehr Mitglieder, die bei den Begleitungen mit Empathie und Offenheit auf die Schwerkranken eingehen können. Susanne Imfeld, die Vizepräsidentin, beantwortet Fragen.

Von René Regenass

Wie und wo kommen die Frauen und Männer, die in der Vereinigung mitwirken, zum Einsatz?

Susanne Imfeld: Ein grosser Teil der Einsätze wird durch telefonische Anrufe von Spitex, Palliativ-Spitex, von Pflegeheimen oder von der Klinik Hirslanden ausgelöst. Es ruft jemand an, zum Beispiel eine Pflegefachfrau oder eine Spitex-Angestellte, und fragt an, ob jemand von der Vereinigung eine Begleitung übernehmen könne, meistens für eine Nacht oder drei, vier Stunden am Tag. Den Anruf nimmt die Stellenleitung der Vereinigung entgegen. Sie erkundigt sich nach dem Gesundheitszustand der Person, die besucht, respektive begleitet werden soll. Zum Beispiel: Ist die Person ansprechbar? Liegt sie im Bett oder kann allenfalls auch im Rollstuhl sitzen? Kann sie essen, braucht sie Unterstützung dabei? Wird für die Begleitung eine Frau oder ein Mann gewünscht? Es kann auch wichtig sein, dass die Begleitperson einen religiösen Hintergrund hat.

Wie geht es dann weiter?

Je nach den Angaben, welche die Stellenleitung erhalten hat, sucht sie eine Frau oder einen Mann aus der Freiwilligengruppe, die oder der ihr geeignet scheint für die anstehende Begleitung. Unter den Freiwilligen ist die Bereitschaft für die Einsätze unterschiedlich. Es gibt solche, die nur vier Stunden in der Nacht begleiten möchten, oder Mütter, die eher nur am Abend oder in den Morgenstunden im Einsatz sein können. Andere sind bereit, eine Nacht von 22 bis 6 Uhr früh zu übernehmen.

Informationen für die Freiwilligen

Was weiss die Begleitperson über den schwerkranken Menschen, den sie besuchen wird?

Gewisse Informationen sind notwendig, zum Beispiel über die sozialen Verhältnisse. Ist ein Ehepartner zu Hause, sind nahe Verwandte informiert und allenfalls ansprechbar, gibt es Töchter oder Söhne, die ebenfalls begleiten könnten. Sehr wichtig sind auch verlässliche Informationen über den Gesundheitszustand der zu besuchenden Person. Welche Krankheit oder welche Mängel stehen im Vordergrund?

Gibt es Grenzen für den Entscheid, ob man die Begleitung übernehme?

Ich denke nicht. Wenn die Freiwilligen jemanden in den Tod begleiten, sehe ich keine anderen Grenzen. Gut, es kann besondere Situationen geben. Beispielsweise eine ständige Unruhe bei einer kranken Person in einem Heim. Das haben wir schon erlebt und dann auch erfahren müssen, dass die betreffende Frau von den Medikamenten her gar nicht auf die Unruhesituation eingestellt worden ist. Dann hat unsere Stellenleitung daraufhin gewirkt, dass das Pflegepersonal mit dem behandelnden Arzt in Kontakt tritt, um die aktuelle Situation zu besprechen und allenfalls neue Verordnungen zu bekommen.

Ich nehme an, dass die freiwilligen Begleitpersonen eine Anfrage auch ablehnend beantworten und allenfalls andere Daten als mögliche Einsatzzeit angeben können.

Wir haben einen Einsatzplan, bei dem die Freiwilligen ihre Verfügbarkeit monatsweise angeben. Andere möchten bei Bedarf lieber direkt angefragt werden. Es gibt Freiwillige, die nur Tagesbegleitungen machen oder eher nur in Pflegeheimen Einsätze leisten möchten. Andere wiederum haben keine besonderen Vorbehalte.

-----------------------------------------------------------------------------------------------

Fakten im Kontext

Die „Luzerner Vereinigung zur Begleitung Schwerkranker“ wurde 1997 durch die Anregung einer Initiativgruppe der reformierten und katholischen Kirche in der Stadt Luzern gegründet. Die Vereinigung ist überkonfessionell und politisch neutral und wird durch Mitgliederbeiträge und Spenden finanziert. Die Vereinigung vermittelt über eine Stellenleitung Frauen und Männer für die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden. Sie leisten keine Pflegeaufgaben, sind einfach da, mit Empathie und Wohlwollen. Die Einsätze erfolgen zu Hause oder in einer Pflege- oder Spitalinstitution in der Stadt Luzern. Die Begleitung ist unentgeltlich; sie erfolgt mehrheitlich zur Entlastung der Angehörigen, vereinzelt auf Initiative des medizinischen Fachpersonals.

Die Vereinigung zählt aktuell etwa dreissig freiwillige Begleitpersonen im Alter zwischen 40 und 80 Jahren. Dieser Bestand reicht oft nicht, um die Wünsche nach Begleitung zu erfüllen. www.da-beim-sterben.ch

Am Marktplatz 60 plus in der Kornschütte, welcher in diesem Jahr wegen Corona nicht durchgeführt werden kann, war die Vereinigung zur Begleitung Schwerkranker jeweils mit einem Stand vertreten. Der nächste Marktplatz soll am 14. Mai 2022 stattfinden. Der regelmässige Anlass, organisiert vom Forum Luzern 60plus, ist eine Plattform für das zivilgesellschaftliche Engagement der älteren Bevölkerung.

-------------------------------------------------------------------------------------------------

Wie ist die Vereinigung zur Begleitung von Schwerkranken und sterbenden Menschen organisiert?

Die strategische Führung liegt bei einem Vorstand mit aktuell acht Mitgliedern. Die Stellenleitung betreut das operative Geschäft, also die Vermittlung von Freiwilligen an Institutionen oder Private.

Öffentlichkeitsarbeit ist notwendig

Gibt es Situationen, wo der Bedarf an Freiwilligen nicht ausreicht, um die Anfragen abdecken zu können?

Es kann vorkommen. Darum ist es notwendig, dass die Stellenleitung Öffentlichkeitsarbeit macht, also die Vereinigung bei bestimmen Institutionen vorstellt und dabei versucht, neue Freiwillige zu gewinnen, zum Beispiel bei der Caritas, bei kirchlichen Organisationen, bei Zeitgut. Aktuell läuft ein Ausbildungslehrgang für Palliativ Care an der Universität Luzern. Auch das ist ein Ort, wo sich Leute treffen, die man vielleicht für die Aufgabe von Begleitungen gewinnen kann.

Aktuell braucht die Vereinigung mehr Freiwillige, die Begleitungen übernehmen können. Gemäss Jahresbericht ist aber die Zahl der Freiwilligen in den letzten Jahren nicht rückläufig. Und die Zahl der Einsätze ist ungefähr gleichgeblieben. Wo liegt denn das Problem?

Es gibt Leute bei uns, die nicht mehr unbeschränkt eingesetzt werden können. Oder solche, die altershalber etwas kürzertreten wollen oder in einer Lebensphase sind, die Beschränkungen notwendig macht. Oder anders gesagt, wir sind in einem Generationenwechsel. Zudem: In der erlebten Corona-Zeit konnten wir einige Mitglieder gar nicht einsetzen, weil sie altershalber zur Risikogruppe gehören. Und in der kurzen Phase einer Übersterblichkeit hatten wir den Eindruck, wir könnten den Bedarf gar nicht mehr abdecken.

Wie werden die Freiwilligen vorbereitet und geschult für ihre Aufgaben der Begleitung?

Die Freiwilligen machen den Caritas-Kurs „Begleitung in der letzten Lebensphase“. Die Kurskosten werden von der Vereinigung vergütet, sobald die Person während 100 Stunden Einsätze gemacht hat. Wir haben uns auch um Möglichkeiten bemüht, wo die neuen freiwilligen Begleitenden ein kurzes, meistens dreitägiges Praktikum in einem Heim oder in einer anderen Institution machen konnten. In der ersten Phase der Begleitungen haben wir darauf geachtet, die Begleiterinnen und Begleiter in einem Heim oder in einem Spital einzusetzen, wo sie nicht auf sich allein gestellt sind wie bei Privaten zu Hause.

Wichtige Kommunikation zwischen den Institutionen und der Stellenleitung

Klappt die Zusammenarbeit mit den öffentlichen und privaten Heimen, mit den Spitex-Organisationen und Spitaleinrichtungen gut? Da sind ja jedes Mal andere Mitarbeitende angesprochen und müssen die Freiwilligen kurz in ihre Aufgabe einführen, mindestens mit der zu begleitenden Person bekannt machen.

Es gibt Unterschiede, das heisst, die Qualität der Informationen hängt stark mit der Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeitenden in den Heimen zusammen. Manchmal hatten wir auch den Eindruck, über die Einsätze der Freiwilligen in den Heimen werde auch Personal gespart. Oft ist es notwendig oder sinnvoll, in einem kurzen Gespräch einen guten Austausch zwischen der anfragenden Person und unserer Stellenleitung anzustreben. Vielleicht kann geklärt werden, ob noch andere pflegerische oder therapeutische Massnahmen genutzt werden könnten.

Somit können die Freiwilligen bei ihren Einsätzen von Fall zu Fall auch selbständig handeln, zum Beispiel eine Begleitung in Absprache mit dem Pflegepersonal abbrechen, weil der Zustand der Bewohnerin oder des Bewohners ihre Präsenz nicht mehr verlangt?

Ja, das ist so. Diese Situation kann auch eintreffen, wenn sie sich in ihrer Aufgabe überfordert fühlen. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Spitalpatient die für ihn bestellte Begleitung gar nicht wünschte. Dann geht unsere Freiwillige nach Absprache mit dem Personal wieder nach Hause.

Welches sind die wichtigsten Anforderungen an die Freiwilligen, die solche Begleitaufgaben übernehmen möchten?

Es braucht sicher eine gute Empathie und Offenheit, auf unvorhergesehene Situationen eingehen zu können. Die Person muss etwas aushalten, sich kurz, klar und sachlich ausdrücken können. Und die eigene Lebensanschauung darf die anstehende Begleitaufgabe nicht beeinflussen. - 27. Mai 2021  rene.regenass@luzern60plus.ch

***

Eine Begleiterin erzählt

„Ich nehme meine eigene Person zurück“

Andrea Schumacher (54) macht seit fünf Jahren ehrenamtliche Sterbebegleitung. Wir zitieren hie aus einem Porträt, das kürzlich im Viva-Magazin erschienen ist.

„Ich habe mich schon seit meiner Jugend mit den tiefen Fragen des Lebens auseinandergesetzt. Zwei Schlüsselerlebnisse führten schliesslich dazu, dass ich mich in Palliative Care und Sterbebegleitung weiterbildete und vor rund fünf Jahren bei der Luzerner Vereinigung zur Begleitung Schwerkranker als Freiwillige meldete. Als eine Freundin von mir 2012 von einem Bus erfasst wurde und an der Unfallstelle im Sterben lag, spürte ich erstmals diese Ruhe in mir. Auf der einen Seite war dieses Gewaltsame, der Verlust eines lieben Menschen. Auf der anderen Seite sah ich aber auch das Licht. Anfang 2016 erfuhr ich schliesslich selbst ein Nahtoderlebnis auf Grund eines Narkosefehlers. Diese beiden Ereignisse veränderten mein Verhältnis zum Tod nachhaltig….

Einmal im Zimmer angekommen, stelle ich mich vor und konzentriere mich auf die Stimmung im Raum. So spüre ich, ob ich mich direkt ans Bett setze oder ob etwas Distanz erwünscht wird. Durch Frage kann sich ein Gespräch entwickeln. Ich nehme meine eigene Person dann zurück und gebe den ganzen Raum diesem Menschen am Ende seines Lebens……Manchmal berühre ich die Hand oder gebe etwas zu trinken. Wenn sich die Person nicht mehr äussern kann, spreche ich ein Gebet und bin mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei ihr… Es ist unglaublich, wie viel da ist, auch ohne Worte.“