Umwerfende Bauten und ein Haftbefehl

Eine Glosse von Eva Holz Egle

Letzthin erklomm ich temporeich die steile Treppe zum Konservatorium auf Dreilinden, um die Aussicht zu geniessen und ein Telefonat mit meinem PC-Supporter zu führen. Vor mir eilten drei Jugendliche mit prall gefüllten Sporttaschen den Hügel hoch. Toll, diese fitten jungen Menschen, dachte ich, sind bestimmt mit Gerätschaft zum Freilufttraining unterwegs. Da ich keinen Ballast zu tragen hatte, überholte ich sie und setzte mich auf eines der roten Bänkli.

Der Weg des Trios führte jedoch nicht auf die grosse Wiese, sondern zu meiner Nachbarbank.

Froh gestimmt wurde ausgepackt: allerlei Getränke in Alu-Dosen, Chips-Tüten und einige nicht auf den ersten Blick erkennbare Utensilien. Angeregt berichteten die drei von hervorragenden dunklen Saucen, grossartigen Ingredienzen und Aromen. Die verstehen etwas von Küche, schloss ich.

Mit dem linken Ohr den Erläuterungen meines Supporters folgend, wandte ich ab und zu den Blick nach rechts und erfreute mich an der ausgelassenen Stimmung der Teenager, zweier Burschen und einer jungen Frau. Von der Notenkonferenz im Juli war die Rede und von Open-Air-Festivals, die man diesen Sommer zusammen besuchen wolle. Mit Hingabe wurde dabei irgendetwas gebastelt und auf einmal war mir klar, wozu ein Teil der mitgebrachten Utensilien diente: Die Jungen drehten sich Joints.

Ein schönes Plätzli habt ihr euch dafür ausgesucht, fand ich und mir kam in den Sinn, wie ein alter Berner Freund – wohlbeleibter Genussmensch par excellence – nach dem Essen jeweils sagte: «Etz weimer no eini boue.» Von seinen prächtigen selbstkonstruierten Hasch-Bauwerken hielt ich mich jedoch stets zurück: Meine Angst, nach einem Drogenkonsum nicht mehr auf den Boden der Realität zurückzufinden, war schon immer gross und ist bis heute ungebrochen.

Dann konzentrierte ich mich weiter auf die Ausführungen meines PC-Supporters, der etwas von Intel und Schärfe erklärte und ich dachte, wenn die Dinge auf dem neuen Bildschirm so deutlich zu sehen sind wie gerade die verschneiten Berge in meinem Blickfeld, dann ist es gut.

Noch immer ganz Ohr am Handy, ertönte auf einmal von rechts: «Haftbefehl, ja!» Erschrocken schaute ich rüber, doch da stand kein Polizist. Stattdessen zeigte sich der eine Schüler ausser sich vor Freude: «Was, Haftbefehl kommen nach Frauenfeld? Super! Die hab ich auch schon gehört.» Ach so, Haftbefehl ist eine Band, lernte ich dazu. Es fielen mehrere Namen von Musikgruppen, die ich nicht kannte. Einstürzende Neubauten hätte mir etwas gesagt, aber von denen war keine Rede. Derweil die drei konzentriert ihre tabak- und anderweitig gefüllten Rauchwaren fertigstellten, überlegte ich mir, welche Bauvorhaben unsere Söhne damals wohl in den Rucksäcken nach Frauenfeld mittrugen.

Mit meinem Telefonat war es endlich zu einem Ende gekommen. Neugierig schaute ich abermals nach rechts. Wow! Da ragte ein langes, formvollendetes Gebilde horizontal aus dem Mund der jungen Frau. Einen solch schönen Glimmstängel hatte ich noch nie gesehen. Diese Schülerin versteht etwas von Statik, das war unverkennbar.

Heisst es nicht immer, man müsse Mädchen für die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern? Wenn eine ihre Rauchingredienzen dermassen gekonnt in elegante Stabilität überführt, wird es mit Stahlbeton erst recht klappen. Hoffentlich zeigt die Notenkonferenz nächsten Sommer in die richtige Richtung, ging es mir durch den Kopf. Talentierte Bauingenieurinnen braucht das Land!  Egal, wenn sie mal leicht benebelt sind.

1. April 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch