Viele dürften sie vermissen: Carmela und René Waldmann-Cerbo vor ihrem Quartierladen an der Moosmattstrasse.

Cima di Rapa als Liebeskraut

Carmela und René Waldmann-Cerbo gehen Ende September 2025 in Pension. 18 Jahren führten sie an der Moosmattstrasse «René's Quartierladen», der ohne Übertreibung als Institution bezeichnet werden kann. 38 Ehejahre gaben den Kitt, dies gemeinsam zu schaffen. Zur Eheschliessung zwischen dem ruhigen René und der lebhaften Carmela kam es damals auch dank Cima di Rapa.Von Beat Bieri (Text und Bild)

Zuerst das Positive: Auch nach dem Abgang des Ehepaars Waldmann-Cerbo geht es weiter. Ein jüngeres Paar aus dem Quartier, das an der GV des Quartiervereins vom möglichen Ende des Quartierladens gehört hatte, wagt die Weiterführung. Und dies, obschon in jüngster Zeit die Grossverteiler aggressiv nahe an den Quartierladen gerückt sind: Zwei Denner, ein Spar und nun auch noch eine neue Migros versuchen in der Nähe, die Quartierbewohner*innen an ihre Kassen zu locken. René Waldmann: «Es ist schon so, die Grossen drücken die Preise, um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen.» In einem ruinösen Wettbewerb sollen die Kleinen an den Rand gedrückt werden.

Die Voraussetzungen für ein Weiterbestehen des Ladens sind trotzdem intakt: Kein Grosser kann bieten, was der Kleine offeriert: Vertrautheit in Zeiten von Anonymität, ein Ort, wo Kundenwünsche tatsächlich noch etwas wert sind. Viele Kund*innen werden mit Namen begrüsst, oft mit dem Vornamen. Hinter der Kasse sitzen seit Jahren vertraute Gesichter von freundlichen Frauen, von denen einige unter neuer Leitung weitermachen wollen.

Leckereien von nah und fern
Und dann dieses Sortiment auf vergleichsweise kleinem Raum: Eigentlich alles, was es zum guten Leben braucht. Lebensmittel direkt vom Bauern, Gemüse und Früchte nach saisonalem Angebot. Frische Eier, wöchentlich bei den Hühnern geholt. Herr Gisler, der Abwart einer nahe gelegenen Genossenschaftssiedlung, bringt von seinen Pilztouren gelegentlich Eierschwämme zum Verkauf in den Laden (leider behält er die Steinpilze für sich). Hier erst habe ich das grasähnliche Barba di Frate kennengelernt (deutsch etwas unappetitlich Mönchsbart geheissen) oder Cima di Rapa (doch davon später mehr), beides verkauft von Carmela Waldmann mit den entsprechenden Pastarezepten.

Hier gibt es das beste Brot von den besten Bäckereien der Stadt. Und schliesslich dieses attraktive Sortiment mit Käse vom Schnitt. Mein Favorit: Der Höllloch-Rohmilch-Käse aus dem Berner Oberland, würzig und erstaunlich günstig. Besonders ältere Kundinnen, oft im Einpersonenhaushalt lebend, schätzen, dass auch kleine 100-Gramm-Stücke erhältlich sind.

Hip und trendy
Doch die ältere Kundschaft ist in den letzten Jahren weniger geworden. Das Quartier ist im Umbruch. Als ich hier aufwuchs, war das ein zwar kinderreiches, doch spiessiges, unscheinbares, verschlafenes Mittelstandsquartier, morgens geweckt von quietschenden Trams, die das Tramdepot verliessen (heute Feuerwehrdepot). Jetzt ist die Gegend hip und gefragt, das Freigleis als neue Lebensader, das Neubad als attraktives Kulturzentrum.

Viele junge Familien sind zugezogen, und man kann nur hoffen, dass die Gentrifizierung, die auch dieses Quartier erfasst hat, die Mieten nicht in unbezahlbare Höhen treibt. Immerhin verhelfen zahlreiche Genossenschaftswohnungen zu etwas Stabilität in diesem Monopoly. Und erfreulich: Auch diese neue Bewohnerschaft, junge Väter und Mütter, postet bei den Waldmanns.

Unterschiedliche Charaktere
«Wir schauen dem Ende etwas traurig, aber auch erleichtert entgegen», sagt René Waldmann, der einen zweiten, ähnlichen Laden in Kriens führte, der allerdings nun definitiv schliesst. Es war eine befriedigende Zeit, doch klar, «da gab es schon Tage, an denen ich abends müde nach Hause ging und mich fragte, ob ich das noch weitermachen sollte, doch am nächsten Tag waren solche Gedanken verschwunden», sagt Carmela Waldmann, «man macht weiter, es liegt einfach im Blut.» Tiefpunkte in diesen 18 Jahren waren die Einbrüche, fünf insgesamt, die Einbrecher waren vor allem an Zigaretten interessiert. 

René und Carmela Waldmann-Cerbo sind sowohl zu Hause in Horw als auch im Laden ein Paar. Geht das gut, so viel dauerhafte Nähe? Sie: «Das funktioniert, weil wir so unterschiedliche Charakteren sind.» Stimmt! Er mit ruhiger Stimme und zurückhaltend, sie kommunikativ und gesprächsfreudig, mit sympathischem Italien-Akzent und das Understatement pflegend: «Ich habe mich immer als die Frau des Chefs bezeichnet.» Das ist vielleicht nicht gerade die moderne, feministische Art, doch keine Bange, diese scheinbare Unterordnung ist auch nicht wörtlich gemeint. Jedenfalls kommen die meisten Antworten auf meine Fragen von ihr.

«Er musste so lange überlegen»
Und funktioniert diese Unterschiedlichkeit auch in der privaten Beziehung? Sie: «Also bitte! Wir sind seit 38 Jahren verheiratet!» Dazu kommen als Beweis zwei erwachsene Töchter und zwei Enkelkinder. Die Beziehung brauchte allerdings etwas Anlauf. Kennengelernt haben sich René und Carmela in der Küche des Restaurants Felmis in Horw, er Kochlehrling, sie Saisonniere und Küchenhilfe, geflohen aus dem süditalienische Kampanien vor einer unglücklichen Liebe. Doch man ging die Sache langsam an, fünf Jahre dauerte die Beziehung bis zur Heirat.

Sie (lachend) :«Er musste so lange überlegen.»
Er: «Ich wollte eigentlich nie heiraten.»
Doch dann war René endlich soweit.
Sie: «Die italienische Küche hat ihm gepasst.»
Er: «Teigwaren mit Cima di Rapa.»

31. August 2025 – beat.bieri@luzern60plus.ch