Paul Huber. Bild: Joseph Schmidiger

De l’Esprit des Lois

Von Paul Huber

Es gibt Episoden im Leben, die man nie mehr vergisst. Frisch gewählt und voller Tatendrang traf ich mich kurz nach Amtsantritt als Justizdirektor zu einem Kennenlernbesuch mit dem Obergericht (heute Kantonsgericht). Ich weiss nicht, welche Schreckensszenarien über mich als neu gewählter Regierungsrat und Radikalinski aus Emmenbrücke in diesem Gremium im Umlauf waren. Ganz offensichtlich aber herrschte dort die Überzeugung, dass man diesem Sozi schon mal von Beginn weg «d' Chnöpf iitue» müsse und liess mir vom Gerichtspräsidenten Montesquieus zweibändiges Werk «Vom Geist der Gesetze» (im Original «De l'Esprit des Lois») überreichen. Die unüberhörbare Botschaft: Ich solle es dann mit der Gewaltenteilung genau nehmen und mich nicht in die Tätigkeit der gerichtlichen Magistratspersonen einmischen. 

Ich war verschnupft. Ein Begrüssungsgeschenk knapp an der Grenze zur Unhöflichkeit. Als beleidigte Leberwurst gäbe es deshalb wenig Grund, meine Kolumne der Würdigung der Dritten Gewalt zu widmen. Ich tu's trotzdem und erst recht. 

Vor ein paar Wochen meldeten sich sechs Senator*innen und Abgeordnete des Repräsentantenhauses der USA mit einer Videobotschaft an die Bevölkerung. Alle waren sie im früheren Leben Mitglieder der Streitkräfte, an eine strenge «chain of command» (militärschweizerisch: Befähl esch Befähl!) gebunden. Ihre Botschaft an die aktiven Soldat*innen: Befolgt keine illegalen Befehle, haltet euch an die Verfassung, auf die ihr alle einen Eid geleistet habt.

Donald Trump und sein Kriegsminister Pete Hegseth waren verschnupft und drohten dem hochdekorierten Offizier und Astronauten Mark Kelly für diesen Aufruf mit dem Kriegsgericht. Das Justizministerium und die FBI leiteten willfährig und umgehend eine Untersuchung gegen diese Politiker*innen ein.

Einschüchterung ist ein starkes Instrument in den Händen von Mächtigen und Tyrannen. Denn man kann ja nicht Millionen von Menschen einsperren, die sich an den «No King»-Demonstrationen beteiligen. Man wird auch nie die zehn Millionen Einwanderer ausschaffen können, die seit Jahrzehnten als Hilfskräfte auf Feldern und in Haushalten ihre Dienste verrichten. Man kann nicht allen Ärztinnen die Lizenz entziehen, die keine Zweifel an der Wirksamkeit von Masern- oder Polioimpfungen haben. Und man kann auch nicht alle Beamt*innen entlassen, die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit gewisser Anordnungen der Regierung haben. Aber man kann viele mit Einschüchterung und exemplarischer Sanktionierung auf Linie bringen.

Reihenweise bezeichneten amerikanische Gerichte in den letzten Wochen Anordnungen des amerikanischen Präsidenten als rechts- und verfassungswidrig: den politisch motivierten Einsatz der Nationalgarde in demokratisch regierten Grossstädten, den Raketenbeschuss von vermuteten Drogenschmuggelbooten in internationalen Gewässern, die Aufhebung von Ministerien, die illegale Einsetzung Trump-höriger Strafverfolger*innen für den Rachefeldzug gegen politische Gegner.

Mutige Richter*innen haben dieser systematischen Einschüchterung trotz Drohungen aus dem Oval Office in nicht wenigen Fällen einen Riegel vorgeschoben und damit das Signal ausgesendet: der Rechtsstaat hat nicht ausgedient.

Die Einmischung der Exekutiven in die Justiz vieler Länder, die wir zur «Freien Welt» zählen, zeigen überdeutlich, wie wichtig die Gewaltenteilung und besonders auch eine funktionierende dritte Gewalt für die Verteidigung der Demokratie ist. Ist diese mal geschwächt, ist die Tür für Autokraten und Diktatoren weit offen. 

Der Blick über den Teich zeigt im Positiven und im Negativen, wie wichtig es ist, der Dritten Gewalt im Staat den Rücken zu stärken. Auch hier in der Schweiz, wo immer öfter Richter*innen eingeschüchtert werden, wo in der Politik die Tendenz zunimmt, die richterliche Arbeit nach unbequemen Urteilen nicht nur zu kritisieren, sondern zu diskreditieren, wo eine Partei von «ihren» Richter*innen Loyalitätserklärungen nicht zu Verfassung und Gesetzen, sondern zu den Werten der Partei abverlangt. Das nagt an der Glaubwürdigkeit der Justiz. 

Das darf nicht sein. Wir müssen der Dritten Gewalt als tragender Säule der Demokratie unsere ganze Aufmerksamkeit schenken. Sie verdient es, dass wir nur die Fähigsten, Mutigsten, Integersten und Unabhängigsten in richterliche Ämter wählen. 

Und es lohnt sich heutzutage, statt Machiavelli wieder einmal Montesquieu zu lesen.

10. Dezember 2025 – paul.huber@luzern60plus.ch


Zur Person:
Paul Huber, geboren 1947, war vor seiner Wahl in den Regierungsrat des Kantons Luzern als Primarlehrer, Lehrplanentwickler und Gewerkschaftssekretär im Zentralsekretariat des VPOD tätig. Nach 16 Jahren Tätigkeit im Justiz-, Gemeinde- und Kulturdepartement (1987 bis 2003) hatte er verschiedene staatliche, privatwirtschaftliche und gemeinnützige Führungsfunktionen inne. Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens stehen für den promovierten Historiker noch immer im Zentrum seines Interesses.